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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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nicht für möglich gehalten. Ich danke Gott, dass dein Großvater diesen Tag nicht mehr erleben musste.«
    »Dankst du ihm um deinet- oder um meinetwillen?«
    Er holte einmal tief und langsam Luft. Eine Hand ballte sich zur Faust, die andere schloss sich um sie. »Was, bitte, soll das heißen?«
    Ich war beinahe schon zu weit gegangen. Wir hatten eine Grenze erreicht. Jeder Schritt weiter konnte irreparablen Schaden anrichten. Was hätte es gebracht, wenn ich es weitergetrieben hätte? Was wäre gewesen, wenn ich meinen Vater gezwungen hätte, den Spiegel statt auf mich auf seine eigene Kindheit, auf sein Leben als Erwachsener zu richten, auf alles, was er getan und versucht hatte, um von dem Mann, der ihn adoptiert hatte, akzeptiert zu werden?
    Krüppel, lauter Krüppel, hatte Großvater den Sohn angeschrien, der drei von ihnen gezeugt hatte. Denn auch ich bin ein Krüppel, bin immer einer gewesen, Dr. Rose. Ein seelischer Krüppel.
    Ich sagte: »Cresswell-White hat erzählt, alle hätten gegen Katja ausgesagt. Alle, die zum Haus gehörten.«
    Mein Vater fixierte mich mit zusammengekniffenen Augen, bevor er etwas erwiderte. Ich konnte nicht erkennen, ob sein Zögern mit meinen Worten zu tun hatte oder mit meiner Weigerung, seine Frage zu beantworten. »Das sollte dich bei einem Mordprozess kaum überraschen«, bemerkte er schließlich.
    »Er sagte mir, dass ich nicht als Zeuge gehört wurde.«
    »Richtig, ja.«
    »Aber ich erinnere mich, dass ich von der Polizei vernommen wurde. Ich erinnere mich, dass du und Mutter deswegen miteinander gestritten habt. Ich weiß auch noch, dass man mir eine Reihe von Fragen über die Beziehung zwischen Sarah-Jane Beckett und James, dem Untermieter, stellte.«
    »Pitchford.« Die Stimme meines Vaters war dumpfer geworden, klang müde. »Er hieß James Pitchford.«
    »Pitchford. Genau. Ja. James Pitchford.« Ich hatte die ganze Zeit gestanden, jetzt ergriff ich einen Stuhl und trug ihn zu meinem Vater hinüber. Ich stellte ihn vor ihm ab und setzte mich.
    »Vor Gericht sagte jemand, du und Mutter hättet in den Tagen vor - vor Sonias Tod mit Katja Streit gehabt.«
    »Sie war schwanger, Gideon. Sie war nachlässig geworden. Die Betreuung deiner Schwester wäre schon unter normalen Umständen für jeden schwierig gewesen und -«
    »Warum?«
    »Warum?« Er rieb sich die Stirn, als wollte er sein Gedächtnis anregen. Als er die Hand sinken ließ, sah er nicht mich an, sondern blickte zur Zimmerdecke hinauf, doch ich hatte, als er den Kopf hob, Zeit genug zu erkennen, dass seine Augen gerötet waren. Es gab mir einen Stich, aber ich hinderte ihn nicht fortzufahren. »Gideon, ich habe dir doch schon eine ganze Litanei der Leiden deiner Schwester heruntergebetet. Das Downsyndrom war nur die Spitze des Eisbergs. In den zwei Jahren ihres Lebens musste sie immer wieder ins Krankenhaus, und wenn sie zu Hause war, brauchte sie jemanden, der sich ständig um sie kümmerte. Dafür hatten wir Katja engagiert.«
    »Warum habt ihr nicht eine gelernte Kinderpflegerin eingestellt?«
    Er lachte bitter. »Dazu hatten wir nicht das Geld.«
    »Aber der Staat -«
    »Staatliche Unterstützung? Undenkbar.«
    Bei diesem Ausruf hörte ich plötzlich meinen Großvater, der bei Tisch entrüstet brüllte: »Wir werden uns doch nicht dazu erniedrigen, um Almosen zu bitten, gottverdammmich! Ein richtiger Mann sorgt selbst für seine Familie, und wenn er das nicht kann, sollte er keine Kinder in die Welt setzen. Hol ihn gar nicht erst raus aus deiner gottverdammten Hose, wenn du hinterher mit den Konsequenzen nicht fertig wirst, Dick.«
    »Und selbst wenn wir Unterstützung beantragt hätten«, fügte mein Vater hinzu, »was meinst du wohl, wie weit wir gekommen wären, wenn das Sozialamt oder wer immer herausbekommen hätte, was wir allein für Raphael und Sarah-Jane ausgaben? Wir hätten Einsparungen machen können. Anfangs entschieden wir uns, das nicht zu tun.«
    »Wie war das mit dem Streit mit Katja?«
    »Wie soll es schon gewesen sein? Wir erfuhren von Sarah-Jane, dass Katja nachlässig geworden war. Wir haben mit ihr gesprochen, und bei dem Gespräch kam heraus, dass ihr jeden Morgen übel war. Da konnten wir uns natürlich denken, was los war. Wir haben es ihr auf den Kopf zugesagt, und sie hat nicht einmal versucht, es zu bestreiten.«
    »Woraufhin ihr sie hinausgeworfen habt.«
    »Was hätten wir sonst tun sollen?«
    »Wer hatte sie geschwängert?«
    »Das sagte sie nicht. Und wir haben sie nicht

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