11 - Nie sollst Du vergessen
und ich, wir sind ... Du weißt, was wir für ihn sind: zwei lesbische Knastschwestern, die wieder raus sind. Ich hab genau gesehen, wie er uns angeschaut hat. Wieso sollte so einer uns sagen, was wirklich läuft, wenn er mit ein paar Lügen einen Keil zwischen uns treiben kann?«
So ganz unrecht hatte Katja mit ihrer Einschätzung nicht. Yasmin hatte selbst die Erfahrung gemacht, dass der Polizei nicht zu trauen war. Keinem im Vollzug war zu trauen. Die legten sich auf eine Geschichte fest, verbogen dann sämtliche Fakten so, dass sie ihnen in den Kram passten, und präsentierten das Ganze den Gerichten auf eine Art, dass die Gewährung einer Kaution unverantwortlich erschien und ein Prozess im Old Bailey mit nachfolgender langer Gefängnisstrafe als das einzige probate Mittel gegen einen so genannten gesellschaftlichen Missstand war. Als wären sie und Roger Edwards eine Seuche und ihr Opfer gewesen und nicht das, was sie wirklich gewesen waren: Sie, eine Neunzehnjährige, die jahrelang von Stiefvätern, Stiefbrüdern und deren Freunden missbraucht worden war; er ein gelbhaariger Australier, der seiner Freundin nach London folgte, wo er mit einem Band Gedichten unterm Arm abserviert worden war. Diesen selben Gedichtband hatte er an der Kasse bei Sainsbury liegen lassen, wo sie einmal in der Woche seine Einkäufe in die Kasse eintippte. Und wegen dieses Gedichtbands hatte sie geglaubt, er wäre etwas anderes als das, was sie gewöhnt war.
Und das war er auch, dieser Roger Edwards. Er war anders, in vielerlei Hinsicht. Nur nicht da, wo es zählte.
Was eine Frau und einen Mann zueinander trieb, war nie einfach. Oberflächlich betrachtet, sah es einfach aus - Schwanz und Möse -, aber so war es nie. Man konnte es nicht erklären: ihre Geschichte und die Rogers, ihre Ängste und seine ungeheure Hoffnungslosigkeit, ihre beiderseitige Bedürftigkeit und die unausgesprochenen Erwartungen des einen an den anderen. Sichtbar war nur das Ergebnis: Ständige Beschuldigungen, die seiner Sucht entsprangen, und ewige Zurückweisungen dieser Beschuldigungen, die niemals ausreichten, zu denen stets Beweise verlangt wurden, die wiederum zu neuen Anschuldigungen Anlass gaben. Sie wurden mit einer sich steigernden Paranoia hervorgebracht, die wiederum von Drogen und Alkohol gespeist wurde, bis sie ihn schließlich nur noch los sein, nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, auch wenn ihr Sohn wie so viele Kinder ihres Viertels ohne Vater aufwachsen würde; auch wenn sie damit gegen ihren festen Vorsatz verstieß, Daniel auf keinen Fall von lauter Frauen umgeben aufwachsen zu lassen.
Doch Roger weigerte sich zu gehen. Er wehrte sich. Er wehrte sich ernstlich. So wie ein Mann sich gegen einen Mann wehrt - stumm, mit Fäusten und Gewalt. Aber sie hatte die Waffe gehabt, und sie hatte sie benützt.
Fünf Jahre hatte sie dafür im Gefängnis gesessen. Sie war festgenommen und unter Anklage gestellt worden. Mit einer Körpergröße von einem Meter achtzig überragte sie ihren Mann um Haupteslänge. »Wieso also, meine Damen und Herren Geschworenen, glaubte diese Frau, sie müsse sich mit einem Messer zur Wehr setzen, als er angeblich aggressiv wurde?« Er hatte, wie es so schön hieß, unter dem Einfluss einer »körperfremden Substanz« gestanden, und die meisten seiner Schläge hatten sie verfehlt oder waren zu kurz gewesen oder hatten sie lediglich gestreift, anstatt sie dort zu treffen, wo sie ihr Schmerz bereitet oder, noch besser, etwas gebrochen hätten. Dennoch hatte sie gemeint, sich mit einem Messer gegen ihn wehren zu müssen, und hatte ihm nicht weniger als achtzehn Stiche beigebracht.
Mehr Blut wäre von Nutzen gewesen bei den nachfolgenden Untersuchungen durch die Polizei. Mehr Blut von ihr als von Roger. So hatte sie nicht mehr vorzuweisen als die Geschichte von dem attraktiven blonden Typen, der, gerade von seiner Freundin sitzen gelassen, den Blick eines jungen Mädchens auf sich zieht, das sich vor der Welt versteckt. Er lockt sie aus ihrem Schneckenhaus heraus; sie verspricht ihm einen erfrischenden Schluck Vergessen. Und was war schon groß dabei, wenn er ein wenig kokste und viel trank? Diese Verhaltensweisen waren ihr vertraut. Aber zwei Dinge hatte sie nicht akzeptieren können: Den Abstieg in Armut und Verwahrlosung und die Forderungen, dass sie nachts, in Türnischen, in geparkten Autos oder an den Baum einer Grünanlage gelehnt, das Geld verdienen sollte, um seine Sucht zu finanzieren.
»Raus! Mach sofort,
Weitere Kostenlose Bücher