11 - Nie sollst Du vergessen
wieder zurückkommen«, meinte Barbara seufzend.
»Genau.« Lynley nahm einen Bleistift aus seiner Brusttasche und schob mit ihm die Glasscherben auf dem Taschentuch herum. »Zu dünn für Autoscheinwerfer«, sagte er. »Ein Scheinwerfer aus solchem Glas würde zerspringen, wenn ihn nur ein kleines Steinchen trifft - auf der Schnellstraße zum Beispiel.«
»Glasscherben unter einer Hecke? Die stammen wahrscheinlich von einer Flasche. Da kommt einer mit einer Flasche Wein unterm Arm von einer Party. Er ist nicht mehr ganz nüchtern und torkelt. Die Flasche fällt runter, zerbricht, und er befördert die Scherben mit ein paar Fußtritten auf die Seite.«
»Aber das Glas ist nicht gekrümmt, Havers. Da, schauen Sie sich die größeren Scherben an. Keine Krümmung.«
»Okay, keine Krümmung. Aber wenn Sie hoffen, zwischen diesen Scherben und einem unserer Verdächtigen eine Verbindung zu entdecken, dann, denke ich, haben Sie ungefähr die gleichen Chancen wie ein Blinder im Nebel.«
Lynley wusste, dass sie Recht hatte. Er schob das Taschentuch wieder zusammen, steckte es ein und grübelte stumm vor sich hin. Er ließ einen Finger langsam auf dem Rand der Espressotasse kreisen, während er in das Restchen dunklen Satz auf ihrem Grund starrte.
Barbara verdrückte inzwischen ihr Schoko-Croissant, von dem nur ein paar Krümel auf ihren Lippen zurückblieben.
»Das tut den Arterien aber gar nicht gut, Constable«, sagte er.
»Und jetzt kommt die Lunge dran«, entgegnete sie, wischte sich mit einer Papierserviette den Mund ab und kramte ihre Zigaretten heraus. Ehe er protestieren konnte, sagte sie: »Das hab ich mir verdient. Es war ein langer Tag. Ich blas den Rauch über meine Schulter, okay?«
Lynley war zu niedergeschlagen, um sich mit ihr zu streiten. Gedanken an Webberlys Zustand bedrückten ihn, und kaum minder schwer lag ihm die neu gewonnene Gewissheit auf der Seele, dass Frances Webberly von der Liebesbeziehung ihres Mannes zu einer anderen Frau gewusst hatte. Er versuchte, diesen Gedanken zu entrinnen, indem er sagte: »Also, schauen wir uns jeden Einzelnen noch einmal genau an. Was haben Sie an Aufzeichnungen?«
Barbara blies ungeduldig eine Rauchwolke in die Luft. »Das haben wir doch schon durchexerziert, Inspector. Wir haben überhaupt nichts.«
»Aber wir müssen etwas haben«, entgegnete Lynley und setzte seine Lesebrille auf. »Ihre Aufzeichnungen, Havers.«
Unwillig holte sie ihr Heft aus der Umhängetasche, während Lynley seine eigenen Notizen aus seiner Jackentasche nahm. Sie begannen mit den Personen, die kein nachgewiesenes Alibi hatten.
Ian Staines war der erste Kandidat, den Lynley zu bieten hatte. Er brauchte dringend Geld, und seine Schwester hatte ihm versprochen, ihren Sohn darum zu bitten. Aber sie war von ihrer Zusage zurückgetreten und hatte Staines damit in größte Nöte gestürzt. »Er muss damit rechnen, sein Haus zu verlieren«, sagte Lynley. »Am Abend ihres Todes haben die beiden sich gestritten. Er könnte ihr nach London gefolgt sein. Er ist erst nach ein Uhr nachts nach Hause gekommen.«
»Aber der Wagen passt nicht«, wandte Barbara ein. »Es sei denn, er war mit einem anderen Fahrzeug in Henley.«
»Möglich wäre es«, meinte Lynley. »Er könnte es dort irgendwann früher abgestellt haben - nur für den Fall. Irgendjemand hat Zugang zu einem zweiten Wagen, Havers.«
Sie wandten sich dem vielnamigen J. W. Pitchley zu, Barbaras derzeitigem Lieblingsverdächtigen. »Was, zum Teufel, hatte seine Adresse in Eugenie Davies' Handtasche zu suchen?«, sagte sie mit Vehemenz. »Warum wollte die Frau zu ihm? Von Staines wissen wir, dass sie ihm sagte, es wäre was dazwischen gekommen. War das vielleicht Pitchley?«
»Möglich, aber wir haben bis jetzt keine Verbindung zwischen den beiden entdeckt. Nicht per Telefon, nicht übers Internet ...«
»Schneckenpost?«
»Wie hat sie ihn überhaupt ausfindig gemacht?«
»Wie ich, Inspector. Sie hat sich gesagt, dass er wahrscheinlich wieder mal die Identität gewechselt hat.«
»Meinetwegen. Aber was für einen Grund hatte sie, ihn aufzusuchen?«
Barbara ließ alle Möglichkeiten, die sie bisher angeboten hatte, außer Acht und schlug einen völlig neuen Weg ein.
»Vielleicht arrangierte er die Zusammenkunft mit ihr, nachdem sie ihn aufgestöbert hatte. Und sie setzte sich mit ihm in Verbindung, weil ...« Barbara ließ sich die verschiedenen Möglichkeiten durch den Kopf gehen und sagte schließlich: »Weil Katja Wolff
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