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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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weitermachen.« Er drängte sich an ihr vorbei und ging hinkend zu seiner Wohnungstür.
    »Das ist ja sehr bequem«, sagte sie, als sie die Wohnung betraten und Richard die Tür hinter ihnen schloss. Die Lichter waren an. Richard nahm das stirnrunzelnd zur Kenntnis. Er ging zum Fenster. »Du machst nie weiter, wenn es dir nicht in den Kram passt.«
    »Das ist nicht wahr. Jetzt wirst du unsachlich. Du hast dich aufgeregt, wir haben uns beide aufgeregt, und jetzt reagierst du darauf. Wenn du dich erst ein wenig ausgeruht hast -«
    »Sag du mir nicht, was ich zu tun habe!« Ihre Stimme war schrill. Sie wusste zwar, dass Richard Recht hatte und sie unsachlich war, aber sie konnte sich nicht beherrschen. All die unausgesprochenen Zweifel, die sie seit Monaten quälten, vereinigten sich jetzt mit ihren uneingestandenen Ängsten. Alles stieg in ihr hoch wie eine Mischung giftiger Gase, die ein Ventil suchten. »Es geht immer nur nach deinem Kopf. Ich gebe ständig nach. Aber jetzt wirst ein Mal du mir nachgeben.«
    Er blieb am Fenster stehen. »Hat das alles der Anblick dieses uralten Fotos bewirkt?«, fragte er und hielt ihr die Hand hin.
    »Dann gib es mir. Ich vernichte es.«
    »Ich dachte, es wäre für Gideon«, rief sie.
    »Ja, aber wenn es zu solchen Problemen zwischen uns Anlass gibt ... Gib es mir, Jill.«
    »Nein. Ich werde es Gideon geben. Gideon ist schließlich unheimlich wichtig. Wie Gideon sich fühlt, was Gideon tut, wann Gideon auf seiner Geige spielt. Er hat von Anfang an zwischen uns gestanden - mein Gott, wir haben uns sogar nur dank Gideon kennen gelernt -, und ich habe nicht die Absicht, ihn jetzt von seinem Platz zu verdrängen. Du möchtest Gideon das Foto geben, und er wird es bekommen. Komm, rufen wir ihn doch gleich an und sagen ihm, dass wir es haben.«
    »Jill! Das ist doch albern. Er weiß nicht, dass ich dir erzählt habe, wie groß seine Angst davor ist, zu spielen, und wenn du ihn jetzt wegen des Fotos anrufst, wird er sich verraten fühlen.«
    »Man kann eben nicht alles haben, Schatz. Er möchte das Foto, und er wird es heute Abend bekommen. Ich bringe es ihm selbst.«
    Sie griff zum Telefon und begann, die Nummer einzutippen.
    »Jill!« sagte Richard und schickte sich an, zu ihr zu gehen.
    »Was willst du mir denn bringen, Jill?«, fragte Gideon.
    Sie fuhren beide herum, als sie seine Stimme hörten. Er stand an der Wohnzimmertür in dem düsteren Flur, der zum Schlafzimmer und zu Richards Arbeitszimmer führte. In der einen Hand hielt er einen Briefumschlag, in der anderen eine Grußkarte mit einem Blumenbild. Sein Gesicht hatte die Farbe grauen Sands, und unter seinen Augen lagen Schatten der Schlaflosigkeit.
    »Was wolltest du mir bringen?« wiederholte er.

GIDEON
12. November
    Sie sitzen im Ledersessel Ihres Vaters, Dr. Rose, und sehen mich an, während ich mich stammelnd durch den Bericht der schrecklichen Fakten quäle. Ihr Gesicht zeigt den gleichen Ausdruck wie immer - interessiert an dem, was ich sage, jedoch ohne Wertung -, und in Ihren Augen schimmert ein Mitleid, bei dem ich mich fühle wie ein Kind, das verzweifelt Trost sucht.
    Und nichts anderes tue ich ja: Ich rufe sie an und weine, ich flehe Sie an, mich sofort zu sehen, ich behaupte, es gäbe sonst keinen Menschen, dem ich vertrauen kann.
    Sie sagen: Kommen Sie in neunzig Minuten in meine Praxis.
    So präzise. Neunzig Minuten. Ich will wissen, was Sie daran hindert, mich sofort, noch in diesem Augenblick, zu empfangen.
    Sie sagen: Beruhigen Sie sich, Gideon. Sammeln Sie sich. Atmen Sie tief durch.
    Aber ich muss Sie jetzt sehen!
    Sie erklären mir, dass Sie bei Ihrem Vater sind, aber kommen werden, so schnell Sie können. Sie sagen: Warten Sie auf der Treppe, wenn Sie vor mir da sind. Neunzig Minuten, Gideon. Können Sie das behalten?
    Und nun sitzen wir hier, und ich erzähle Ihnen alles, woran ich mich an diesem entsetzlichen Tag erinnert habe. Ich schließe mit den Worten: Wie konnte ich das alles vergessen? Was muss ich für ein Monstrum sein, dass ich nichts von dem, was damals geschah, in Erinnerung behalten habe?
    Sie erkennen, dass ich mit meinem Bericht am Ende angelangt bin, und ergreifen die Gelegenheit, mir einiges zu erklären. Ruhig und gelassen wie immer sagen Sie, dass die Erinnerung daran, dass ich meiner Schwester etwas zu Leide getan hatte, und die Überzeugung, sie getötet zu haben, nicht nur etwas ungeheuer Beängstigendes seien, sondern assoziativ verknüpft mit der Musik, die gespielt wurde, als

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