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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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was du vom Leben willst, richtig?«
    »Es ist mein Leben.« »Klar. Es ist dein Leben, das, was du daraus gemacht hast.«
    Ich merkte an ihrem Ton, dass wir uns wieder auf demselben holprigen Terrain befanden, das wir schon früher abgeschritten hatten, und ich fühlte mich plötzlich frustriert. »Libby, ich bin Musiker. Mal von allem anderen abgesehen - so verdiene ich meinen Lebensunterhalt. Das kannst du wohl verstehen.«
    »O ja, ich verstehe«, sagte sie.
    »Dann -«
    »Okay, Gid, wie gesagt, ich geh jetzt die Enten füttern.«
    »Komm doch herauf, wenn du zurück bist. Wir können ja zusammen essen.«
    »Ich wollte eigentlich zum Steppen.«
    »Steppen?«
    Sie sah weg. Einen Moment lang drückte ihr Gesicht etwas aus, das ich nicht ganz erfassen konnte. Als sie mich wieder ansah, war ihr Blick traurig, und ihr Ton war resigniert, als sie sagte: »Stepptanzen, mein Hobby.«
    »Entschuldige, das hatte ich vergessen.«
    »Schon gut«, sagte sie. »Ich weiß.«
    »Wie war's dann mit später? Ich bin sicher zu Hause. Ich warte nur auf einen Anruf meines Vaters. Komm doch nach dem Stepptanz herauf. Natürlich nur, wenn du Lust hast.«
    »Klar«, sagte sie. »Wir sehen uns.«
    Und ich wusste, sie würde nicht kommen. Dass ich den Stepptanz vergessen hatte, das hatte ihr offenbar den Rest gegeben. Ich sagte: »Libby, ich hatte so vieles im Kopf. Das weißt du. Du musst verstehen -«
    »Ach, Mensch«, unterbrach sie mich. »Du raffst überhaupt nichts.«
    »Ich ›raffe‹, dass du ärgerlich bist.«
    »Ich bin nicht ärgerlich. Ich bin gar nichts. Ich geh jetzt in den Park und füttere die Enten. Weil ich Zeit hab und weil ich Enten mag. Und danach gehe ich zum Steppen. Weil ich Stepptanz mag.«
    »Du gehst mir aus dem Weg, nicht wahr?«
    »Es dreht sich nicht alles um dich. Ich dreh mich nicht um dich. Der Rest der Welt dreht sich nicht um dich. Wenn du, sagen wir mal, morgen aufhörst, Geige zu spielen, bleibt der Rest der Welt doch weiterhin der Rest der Welt. Aber wie willst du derjenige bleiben, der du bist, wenn gar nichts von dir da ist, Gideon?«
    »Ich versuche ja, es mir wieder zu holen.«
    »Man kann sich nicht etwas zurückholen, was nie da war. Du kannst es neu erschaffen, wenn du willst. Aber du kannst nicht einfach mit dem Schmetterlingsnetz losziehen und es einfangen.«
    »Warum willst du nicht verstehen -«
    »Ich möchte jetzt die Enten füttern«, fiel sie mir ins Wort. Und damit ging sie an mir vorbei und schlug den Weg zur Regent's Park Road ein.
    Ich sah ihr nach. Ich wollte ihr nachlaufen und ihr klar machen, was ich meinte - wie leicht es für sie war, davon zu reden, dass man einfach man selbst sein müsse. Ihre Vergangenheit war ja nicht an allen Ecken und Enden mit besonderen Leistungen gespickt, die als Wegweiser in eine seit langem festgelegte Zukunft dienten. Für sie war es leicht, einfach den Moment zu leben, weil sie nie etwas anderes als Momente gehabt hatte. Aber so war mein Leben nie gewesen, und ich wollte, dass sie diese Tatsache anerkannte.
    Sie musste gespürt haben, was in mir vorging. Denn an der Ecke drehte sie sich um und rief mir etwas zu.
    »Was?«, schrie ich, als der Wind ihre Worte forttrug.
    Sie legte die Hände muschelförmig um ihren Mund und versuchte es noch ein Mal. »Viel Glück mit deiner Mutter«, rief sie laut.

17. November
    Jahrelang war es mir dank meiner Arbeit gelungen, meine Mutter aus meinem Bewusstsein zu bannen. Ich musste mich auf dieses Konzert oder jene Plattenaufnahme vorbereiten, ich musste mit Raphael üben, für einen Dokumentarfilm zur Verfügung stehen, mit diesem oder jenem Orchester proben, in Europa oder den Vereinigten Staaten auf Tournee gehen, meinen Agenten treffen, Verträge aushandeln, mit dem East London Conservatory arbeiten ... Meine Tage und Stunden waren zwanzig Jahre lang mit Musik angefüllt gewesen. Da war kein Platz zum Nachdenken über die Mutter, die mich verlassen hatte.
    Aber jetzt hatte ich Zeit, und sie beherrschte meine Gedanken. Und selbst während ich darüber nachdachte, selbst während ich fragte und mutmaßte, wusste ich, dass diese Fixierung meiner Gedanken auf meine Mutter ein Mittel zur Ablenkung von Sonia war.
    Es wirkte nicht immer. In unachtsamen Momenten suchte meine Schwester mich dennoch auf.
    »Sie sieht so komisch aus, Mami«, erinnerte ich mich, gesagt zu haben, als ich eines Tages an dem Bett stand, in dem in Decken gehüllt und mit einem Häubchen auf dem Kopf meine Schwester lag, mit einem Gesicht,

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