11 - Nie sollst Du vergessen
bitte!«
»Nein!« Alles wurde auf einmal so viel klarer. Es war, als hätte der Schock über die Nachricht ihres Todes mein Bewusstsein gereinigt. Ich sagte: »Es ist völliger Unsinn, anzunehmen, dass Katja Wolff auf dein Ansinnen eingegangen wäre. Dass sie so viele Jahre ihres Lebens aufgegeben hätte ... wofür, Dad? Für mich? Für dich? Ich habe ihr nichts bedeutet und du auch nicht. Ist es nicht so? Du warst nicht ihr Liebhaber. Du warst nicht der Vater des Kindes, das sie erwartete. Es war Raphael, nicht wahr?
Weshalb also hätte sie zustimmen sollen? Das ergibt doch keinen Sinn. Du musst sie hereingelegt haben. Du musst - was hast du getan? Falsche Spuren gelegt? Die Fakten manipuliert?«
»Wie kommst du dazu, mich derart zu beschuldigen?«
»Weil ich jetzt klar sehe. Weil ich jetzt begreife. Wie hätte Großvater denn auf die Nachricht reagiert, Dad, dass seine behinderte Enkeltochter gerade von ihrem abartigen Bruder ertränkt worden war? Darum muss es letztlich gegangen sein: Großvater auf keinen Fall die Wahrheit wissen zu lassen.«
»Sie war einverstanden. Wegen des Geldes. Zwanzigtausend Pfund für ein Geständnis von ihr, dass Sonias Tod durch eine fahrlässige Handlung verursacht worden war. Ich habe dir das alles erklärt. Ich habe dir gesagt, dass wir nicht mit der Reaktion der Presse gerechnet hatten und auch nicht mit der erbitterten Entschlossenheit des Anklägers, sie hinter Gitter zu bringen. Wir hatten keine Ahnung -«
»Du hast es getan, um mich zu schützen. Und deine Behauptung, du hättest Sonia nicht aus dem Wasser geholt, sondern sie dem Tod überlassen - sie sogar selbst noch unter Wasser gedrückt -, ist nichts als Gerede. Es dient dem gleichen Zweck wie damals, als du alle Schuld auf Katja Wolff abgewälzt hast. Es hält mich bei der Geige. Oder soll es jedenfalls.«
»Was willst du damit sagen?«
»Du weißt, was ich sage. Es ist vorbei. Oder es wird vorbei sein, sobald ich das Geld geholt habe, um Katja Wolff ihre vierhunderttausend Pfund zu bezahlen.«
»Nein! Du schuldest ihr nichts ... Um Himmels willen, überleg doch. Es ist gut möglich, dass sie deine Mutter überfahren hat.«
Ich starrte ihn an. Meine Lippen formten das Wort: »Was?«, aber die Stimme versagte mir den Dienst. Und mein Verstand konnte nicht aufnehmen, was er sagte.
Er sprach weiter, sagte Wörter, die ich hörte, aber nicht in Zusammenhang bringen konnte. Fahrerflucht, hörte ich. Kein Unfall, Gideon. Ein Auto ist über sie hinweggerollt. Zwei Mal. Drei Mal. Eine vorsätzliche Tat. Ein Mord.
»Ich hatte nicht das Geld, um sie zu bezahlen«, sagte er, »und du hast sie nicht erkannt. Sie wird sich daraufhin an deine Mutter gewandt haben. Und als Eugenie sie auch nicht bezahlen konnte ... Du siehst ja, was geschehen ist. Es ist doch klar?«
Ich hörte die Worte, aber sie sagten mir nichts. Ich hörte sie und verstand nichts. Ich wusste nur, dass meine Hoffnung auf Erlösung von meinem Verbrechen dahin war. Auch wenn ich unfähig war, an irgendetwas anderes zu glauben, an meine Mutter hatte ich geglaubt.
Warum?, fragen Sie.
Weil sie uns damals verlassen hat, Dr. Rose. Vielleicht hat sie uns verlassen, weil sie mit dem Schmerz über den Tod meiner Schwester nicht fertig wurde, aber ich bin überzeugt, dass sie gegangen ist, weil sie nicht mit der Lüge fertig wurde, die sie hätte leben müssen, wenn sie geblieben wäre.
20. November, 14 Uhr
Dad ging, als offenkundig wurde, dass ich nichts mehr zu sagen hatte. Aber ich blieb nur zehn Minuten allein - vielleicht nicht einmal so lange -, dann kam Raphael.
Er sah furchtbar aus. Die Augen wie entzündet, die Haut wie Asche, das waren die einzigen Farben in seinem Gesicht.
Er trat zu mir und legte mir die Hand auf die Schulter. Wir blickten einander an, und ich beobachtete, wie seine Züge sich aufzulösen begannen, als hätte er keine Schädelknochen unter der Haut, die alles zusammenhielten, sondern stattdessen irgendeine Substanz, die immer löslich gewesen war, anfällig für das richtige Element, das sie zum Zerfließen bringen konnte.
Er sagte: »Sie konnte nicht aufhören, sich zu bestrafen!« Seine Hand krampfte sich immer fester um meine Schulter. Ich wollte aufschreien vor Schmerz oder mich losreißen, aber ich konnte mich nicht rühren, ich durfte nicht die kleinste Geste wagen und damit riskieren, dass er verstummte. »Sie konnte sich nicht verzeihen, Gideon, aber sie hat nie aufgehört - nie! Ich schwöre es! -, an dich zu
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