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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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später.«
    »Nein«, widersprach Gideon, »über Virginia sprechen wir jetzt.«
    »Wer ist Virginia?«, fragte Jill.
    »Dann weißt du es also auch nicht.«
    Jill sagte: »Richard«, und sah ihn an. »Richard, was hat das alles zu bedeuten?«
    »Das kann ich dir sagen«, bemerkte Gideon und las vor, was auf der Karte geschrieben stand. Seine Stimme wurde von der Kraft seiner Empörung getragen, auch wenn sie zweimal kurz schwankte: einmal, als er die Worte unsere Tochter vorlas, und ein zweites Mal, als er zu der Stelle zweiunddreißig Jahre alt kam.
    Bei Jill blieben zwei ganz andere Wendungen hängen: Den medizinischen Vorhersagen zum Trotz war die eine, und die zweite umfasste die drei ersten Wörter des letzten Satzes: Trotz ihrer Probleme ... Sie spürte eine Welle der Übelkeit in sich aufsteigen, und eine schreckliche Kälte kroch ihr in alle Glieder. »Wer ist das?«, rief sie. »Wer ist das, Richard?«
    »Ein Krüppel«, sagte Gideon eisig. »Stimmt's nicht, Dad? Virginia Davies war auch behindert.«
    »Was meint er damit?«, fragte Jill, obwohl sie es bereits wusste und das Wissen nicht ertragen konnte. Sie wartete auf eine Antwort Richards, aber er stand wie versteinert da, mit hoch gezogenen Schultern und krummem Rücken, die Augen starr auf seinen Sohn gerichtet. »Sag doch etwas!«, flehte Jill.
    »Er überlegt sich gerade eine gute Antwort für dich«, klärte Gideon sie auf. »Er überlegt, was er als Entschuldigung dafür vorbringen kann, dass er mich in dem Glauben gelassen hat, meine ältere Schwester wäre als Säugling gestorben. Sie war ziemlich krank, weißt du. Und ich vermute, es war einfacher, vorzugeben, sie wäre tot, als akzeptieren zu müssen, dass sie nicht vollkommen war.«
    Endlich sprach Richard. »Du weißt nicht, wovon du redest«, sagte er, während Jills Gedanken sich nicht mehr beherrschen ließen: noch ein Kind mit Down-Syndrom, schrie es in ihrem Kopf, ein zweiter Fall von Down-Syndrom, oder etwas anderes, etwas Schlimmeres, etwas, von dem zu sprechen er nicht über sich brachte, und dabei war ihre kostbare kleine Catherine die ganze Zeit gefährdet gewesen, bedroht von etwas Unbekanntem, etwas, das bei den Schwangerschaftsuntersuchungen nicht erkannt worden war, und er stand nur da und stand und stand wie angewurzelt und starrte seinen Sohn an und weigerte sich, darüber zu sprechen, was ... Sie merkte, dass das Bild, das sie immer noch in der Hand hielt, feucht geworden war und so schwer, eine Last, die sie kaum noch tragen konnte. Es glitt ihr aus den Fingern, als sie flehentlich rief: »Sag doch etwas, Richard.«
    Richard und sein Sohn bewegten sich gleichzeitig, als das Bild scheppernd auf den Holzfußboden fiel, und Jill eilte an dem Foto vorbei, weil sie das Gefühl hatte, ihr eigenes Gewicht nicht einen Augenblick länger tragen zu können. Sie lief stolpernd zum Sofa und ließ sich darauf fallen und wurde zur stummen Zuschauerin der nachfolgenden Szene.
    Richard bückte sich hastig nach dem Foto, war jedoch durch den Gips an seinem Bein in seiner Beweglichkeit eingeschränkt. Gideon kam ihm zuvor. Er riss das Bild in die Höhe und rief:
    »Ah, noch etwas, Dad?« Dann starrte er es an und hielt es dabei so krampfhaft fest, dass seine Finger am hölzernen Rahmen weiß wurden. Er sagte heiser: »Wo kommt das her?« Er starrte seinen Vater an.
    Richard sagte: »Beruhige dich doch, Gideon«, und seine Stimme klang verzweifelt. Jill, die sie beide beobachtete, nahm die Spannung der beiden Männer wahr, Richards wie eine in der Hand erhobene Peitsche, Gideons wie eine tickende Bombe.
    Gideon sagte: »Du hast mir erklärt, sie hätte alle Bilder von Sonia mitgenommen. Mutter hat uns verlassen und hat alle Bilder mitgenommen, hast du gesagt. Sie hätte alle Bilder mitgenommen bis auf das eine, das du in deinem Schreibtisch hattest.«
    »Ich hatte guten Grund ...«
    »Hast du das hier die ganze Zeit gehabt?«
    »Ja.« Richards Blick bohrte sich in die Augen seines Sohnes.
    »Das glaube ich dir nicht«, entgegnete Gideon. »Du hast gesagt, sie hätte sie mitgenommen, und sie hat sie auch mitgenommen. Du wolltest, dass sie alle Fotos mitnimmt. Oder du hast sie ihr nachgeschickt. Und dieses hier hattest du nicht bei dir, denn wenn du es gehabt hättest, an dem Tag, als ich eines haben wollte, als ich sie sehen musste, als ich dich fragte, dich bat -«
    »Blödsinn! Was für ein Quatsch! Ich habe dir das Bild nicht gegeben, weil ich fürchtete, du -«
    »Was denn? Ich könnte mich

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