1100 - Die Hölle von Sodom
einem Menschen Furcht einjagen konnte.
Johnny zögerte einen Moment. Er wollte stark sein und seine Furcht nicht zeigen.
»Willst du nicht?«
»Doch, ich komme.«
Johnny ging so weit vor, bis der andere ihn durch einen barschen Befehl stoppte. Er stand jetzt nahe am Licht und konnte den Mann besser erkennen. Vor allen Dingen an seinem Gesicht blieb sein Blick länger hängen, und er konnte jetzt besser erkennen, was mit ihm passiert war. Was er hier sah, das hatte er noch nie zuvor gesehen.
Der Mann mit den weißen Haaren, der aussah wie ein Mensch, hatte sich tatsächlich mehrere Scherben ins Gesicht gesteckt. Aus seinen Wunden tropfte kein Blut. Er sah das Erstaunen des Jungen und verzog den Mund zu einem breiten Grinsen. Dabei bewegte sich nicht nur die Haut, auch die Scherbenstücke machten die Bewegungen mit, aber sie blieben klemmen und fielen nicht ab.
»Du weißt, wer ich bin?«
Johnny zuckte mit den Schultern. Er wollte sein Wissen nicht preisgeben.
»Ich werde es dir sagen.«
»Lassen Sie mich frei! Ich habe Ihnen nichts getan, verdammt noch mal.«
»Es stimmt, das hast du nicht. Aber du wirst trotzdem büßen, mein Junge. Ich muß zugeben, daß du dich prächtig entwickelt hast, alle Achtung. Es könnte mir fast leid tun, dich in die ewige Dunkelheit zu befördern, aber ich habe mich einmal entschlossen, und dabei bleibt es. Ich will dir auch auf deine Frage eine Antwort geben. Ich heiße Aristoteles Leonidas. Jetzt weißt du Bescheid.«
Johnny hatte den Namen gehört. Er beherrschte sich und reagierte nicht.
Leonidas war davon sichtlich überrascht. »Warum sagst du nichts, verdammt?«
»Warum sollte ich?«
»Du kennst mich nicht?«
»Nein!«
»Deine Eltern haben dir nie von mir erzählt?«
Johnny schüttelte den Kopf. Er sah, daß der Mann von ihm leicht enttäuscht war. Leonidas suchte nach Worten. Er fand zunächst keine und zog dann, ohne den Jungen aus den Augen zu lassen, die Scherben aus seiner Haut. Klimpernd verschwanden sie in der rechten Tasche seines langen Kleidungsstücks.
»Warum haben sie dir nichts von mir erzählt?«
»Ich weiß es nicht!«
»Sind diese Mörder denn so arrogant?« zischte er.
»Mörder?« fragte Johnny. Er wunderte sich, wie ruhig er bleiben konnte.
»Ja, Mörder!« erklärte der Grieche. »Deine Eltern sind Mörder. Dein Vater ist ein Mörder, denn er hat mir das einzige genommen, das ich auf dieser Welt liebte - meine Tochter!«
Johnny ahnte, weshalb man ihn hier festhielt. Seine Ruhe konnte er kaum noch aufrechthalten. Das innere Zittern nahm zu.
»Ich bin kein Freund der Bibel«, sprach Leonidas weiter. »Aber dort steht geschrieben. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Deine Eltern nahmen mir die Tochter, und deshalb werde ich ihnen den Sohn, dich, nehmen. Ich habe mir dieses Refugium in jahrelanger Arbeit eingerichtet und es zu einem Wunderwerk werden lassen. Alles nur für meine Rache an eurer verdammten Familie.«
»Nein, damit habe ich nichts zu tun.«
»Das hatte meine Tochter damals auch nicht.«
»Es war ein Versehen von meinem Vater. Ich kann es mir nicht vorstellen. Das glaube ich nicht.«
»Er trägt die Schuld.«
»Wieso denn?«
Leonidas schüttelte den Kopf. »Mag sie auch für eine Weile den falschen Weg gegangen sein, ich will nicht darüber reden. Es zählt nur noch meine Rache.«
Diesmal lag es nicht nur an der trockenen Kehle, daß es Johnny so schwerfiel, eine Frage zu stellen.
»Sie… Sie wollen mich töten?«
Leonidas schaute ihn düster an und nickte. »Nicht nur dich, auch deinen Vater. Und da gibt es noch deine Mutter, die zuletzt an die Reihe kommt. Außerdem gibt es noch zwei Personen, deren Leben hier auf Sodom verlöschen wird.«
»Wer?«
»Du kennst sie. John Sinclair und dieser Chinese…«
Johnny schloß die Augen. Ihm wurde es kalt, sehr kalt. Er wünschte sich weit, weit weg. Einfach fliegen. Bis hin zwischen die Sterne und dort verschwinden.
»Komm jetzt…«
»Wohin?«
Johnny sah und hörte den Mann lachen. »Ich werde dich auf deinen langsamen Tod vorbereiten…«
***
Wir waren in See gestochen und wußten, daß wir keine unbedingt weite Strecke zurücklegen mußten. Zeit spielte sicherlich eine wichtige Rolle, aber wir durften nichts überstürzen. Der Glaube, die Insel ungesehen betreten zu können, war bei uns nicht mehr vorhanden. Es gab genügend hochtechnisierte Geräte, um ein derartiges Eiland auch bei Dunkelheit bewachen zu können.
Ich stand an Deck. Bill Conolly war in der Kabine
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