1102 - Assungas Blutfalle
Deckenlicht bestrahlt worden war. Es mußte etwas geschehen, sie konnte nicht noch länger auf dem harten Boden bleiben, und so stützte sie sich ab und kam langsam auf die Füße. Dabei merkte sie, daß der Kreislauf noch nicht in Ordnung war. Sie spürte den leichten Schwindel und war froh, sich an der Kante des Waschbeckens festhalten zu können. Mit weichen Knien stand sie da, den Blick nach vorn gerichtet, den Kopf dabei leicht gesenkt, und sie holte schleppend Atem. Etwas war dabei, in ihrem Kopf zu bohren, und sie traute sich kaum, ihr Gesicht im Spiegel zu betrachten.
Schließlich tat sie es doch. Eine erschöpfte Frau mit etwas grau gewordenen Haaren schaute sie an.
Noch immer klebte der Schweiß auf dem Gesicht und gab ihm einen unnatürlichen Glanz.
Scharf holte sie Luft.
Ihre Beine hielten den Kontakt mit dem Boden. Trotzdem zitterten die Knie, die ihr so weich vorkamen, als wären sie mit Pudding gefüllt. Erst jetzt dachte Sharon wieder an ihre Tochter. Sie wußte nun, daß sie etwas unternehmen mußte. Auch wenn es ihr noch so schwerfiel, sie mußte einfach zu ihr und noch einmal mit dem Grauen konfrontiert werden. Was Cathy getan hatte, war nicht normal.
Normalerweise hätte sie in eine Anstalt gehört. Blut eines Tieres zu trinken, das sie zuvor getötet hatte, das gab es nicht. Sie hatte sogar zwei Tiere umgebracht. Sharon erinnerte sich daran, daß sie die zweite Katze auf dem Boden neben dem Bett gesehen hatte.
Ich bin die Mutter! dachte sie. Ich muß helfen. Cathy ist meine Tochter. Das bin ich ihr schuldig.
Ich darf sie jetzt nicht allein lassen, obwohl sie mich bestimmt nicht sehen will. Soweit will ich es erst nicht kommen lassen.
Sie trank Wasser. Kühlte auch ihr Gesicht. Stöhnte dabei leise und trocknete sich ab. Das Wasser war auch in ihre Haare gespritzt und hatte sie durchnäßt. Das T-Shirt war ebenfalls über der Brust naß geworden, doch um diese Kleinigkeiten kümmerte sich die Frau nicht. Andere Dinge waren jetzt wichtiger, und sie hatten einen Namen - Cathy.
Als Mutter fühlte sie sich für die Tochter verantwortlich, was immer auch passierte. Cathy war längst nicht erwachsen, sie steckte noch in der Pubertät, die bei ihr spät eingesetzt hatte. Sharon Ambler wußte genau, daß die Mädchen und Jungen in der Pubertät oft Dinge taten, über die man nur den Kopf schütteln konnte. Auf der anderen Seite gehörten sie einfach dazu, aber nicht so extrem wie bei Cathy. Katzen zu töten und deren Blut zu lecken oder zu trinken, das war einfach nicht zu akzeptieren und konnte auch nicht mit der Pubertät entschuldigt werden. Cathy mußte da in einen Horror hineingeraten sein, der wie eine Fessel war und aus dem sie allein nicht mehr rauskam.
Im Flur ging Sharon langsamer. Sie schlich sogar. Und sie lauschte natürlich. Die Tür zu Cathys Zimmer stand noch immer offen. Trotzdem war der Winkel für Sharon zu schlecht, um schon jetzt in den Raum hineinschauen zu können.
Sie blieb an der Seite zunächst stehen und hörte Cathys Stimme. Zuerst dieses leise, helle Lachen, das nicht natürlich klang, sondern leicht überdreht und mehr einem Kichern glich.
Cathy sprach auch. Flüsternde Worte, schwer zu verstehen, weil eines in das andere überlief. Dann fiel etwas zu Boden. Es passierte in dem Moment, als Sharon ihren Fuß über die Schwelle setzte.
Sie sah, daß ihre Tochter den Körper der kleinen Katze weggeworfen hatte. Im Schneidersitz und mit blutigen Händen hockte sie auf ihrem Bett, während sie noch die letzten Tropfen ableckte.
Sharon Ambler ging einen Schritt vor, obwohl sie am liebsten weggerannt wäre. Sie kannte ihre Tochter nicht mehr. Wer da auf dem Bett saß, war ein fremdes Wesen.
Mutter und Tochter schauten sich an. Niemand senkte den Blick. Sharon wäre am liebsten weggelaufen, doch sie wußte auch, daß sie jetzt stark sein mußte.
Sie atmete noch einige Male tief durch. Erst dann war sie in der Lage, etwas zu sagen. »Was hast du getan, Cathy?«
Das junge Mädchen lachte nur.
»Bitte, du mußt es mir sagen. Schau dich doch um. Zwei tote Katzen. Überall Blut. Du in der Mitte. Ich habe gesehen, wie du die verdammte Katze abgeleckt hast. Das ist… meine Güte, ich kann es nicht begreifen. Du bist ein Mensch und kein Tier.«
Cathy schaute ihre Mutter an. Sharon erwartete von der Tochter eine Antwort, aber die ließ auf sich warten, denn das Mädchen schüttelte den Kopf.
»Bitte, was soll das?«
»Es hat mir geschmeckt…«
Sharon schloß die Augen.
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