1103 - Das Azteken-Ritual
den Gehegen hätten sein müssen.
So aber hatte jemand die Adler, die Sperber, die Bussarde, Falken und sogar die Vögel der Nacht - wie die Eulen, den Uhu und auch die beiden Käuze befreit. Sogar einen Geier sah sie mit schwerem Flügelschlag über den Bäumen fliegen.
Jemand hatte sie befreit. Es war der Schatten. Er hatte sich nicht von dem Gelände der Vogelwarte zurückgezogen und hier seine verfluchte Schau durchgezogen.
Becky Flint kannte den Grund nicht. Sie wußte nur, daß nichts mehr so war wie früher, und sie fühlte sich einfach so schrecklich einsam und verlassen.
Hier oben war sie zu weit weg vom Zentrum des Geschehens. Sie mußte nach unten zum Haus, zu den Gehegen. Aber sie dachte auch an den Fremden, der möglicherweise noch auf dem Gelände herumlief.
Becky wußte nicht so recht, was sie tun sollte, obwohl sie ihr Bike schon weiterschob.
Es hatte keinen Sinn, wenn sie an dieser hohen Stelle blieb. Deshalb schwang sie sich in den Sattel und fuhr zittrig los, wie jemand, der das Radfahren erst noch lernen muß.
Die Angst blieb ihr weiterhin im Nacken sitzen, und sie wich auch nicht, als sie talwärts fuhr.
Ab und zu schaute sie in die Höhe. Ein paar ihrer Vögel sah sie immer. Bisher waren sie stets ihre Freunde gewesen. Nun kamen sie ihr fremd vor. Becky verglich sie mit gefährlichen Angreifern, die nur auf ihre Chance lauerten…
***
Wir hatten Sir James von unserem Besuch im Zuchthaus berichtet. Auch er war der Meinung, daß da einiges nicht stimmte und der fünffache Killer noch immer indirekt seine Hände im Spiel hatte.
»Aber wie kann das geschehen?« fragte er.
Ich hob die Schultern. »Das wird er uns nicht sagen, auch wenn wir ihn auf die Folterbank spannen würden. Er ist jemand, der voll und ganz in sich ruht.«
»Meinen Sie?«
Ich wiegte den Kopf. »Nun ja, vielleicht verläßt er sich auch auf seine Helfer.«
»Die nicht von dieser Welt sind«, sagte Suko. »Es deutet vieles darauf hin, daß wir es mit einem alten Azteken-Fluch oder einem Ritual zu tun haben.«
»Damals auch schon?«
»Möglich. Nur haben die Kollegen nicht in dieser Richtung ermittelt. Da kann man ihnen nicht einmal einen Vorwurf machen. Denn wer denkt schon an so etwas?«
»Das stimmt wohl«, gab Sir James zu. »Nach wie vor gehen Sie davon aus, daß es nicht möglich ist für diesen Gomez, aktiv einzugreifen.«
»Nur indirekt, Sir.«
»Durch seine Vogelschreie oder Pfiffe, die er nachahmen konnte. Das meinen Sie?«
»Ja.«
»Warum hat er das getan?«
Diesmal sprach ich. »Er wollte uns seine Macht zeigen. Er wollte beweisen, daß ihm die Vögel gehorchen. Wahrscheinlich hat er das nur deshalb geschafft, weil er sich damals die fünf Herzen holte. Sie erst haben den alten Zauber perfekt gemacht.«
»Haben Sie sich schon näher mit der Azteken-Magie beschäftigt, meine Herren?«
»Nein«, sagte Suko.
Ich fügte hinzu: »Ich weiß auch nicht, ob wir die Zeit noch dafür aufbringen können.«
Sir James gab mir recht. »Irgendwann kommt immer etwas zur unrechten Zeit. Für Sie ist die Vogelwarte wichtig.«
»Darauf wollten wir sie gerade ansprechen, Sir.«
Er nickte. »Ich habe herausgefunden, daß sie von einem Ehepaar geleitet wird. Derek und Becky Flint. Gegen sie liegt nichts Negatives vor. Die Kollegen haben sie schon verhört, als es darum ging, den Herzräuber zu finden. Die Flints konnten sich keinen Reim auf die Flucht des Geiers machen. Sie jedenfalls hatten damit nichts zu tun. Das zumindest haben sie glaubhaft versichern können.«
»Wird die Warte von ihnen allein betrieben?« erkundigte sich Suko.
»Nein. Es gibt da zwei Helfer. Eine Frau und ein Mann. Die Frau heißt Susan Conrad, der Mann Eddy Cohan. Auch über sie haben wir nichts finden können. Das Geschäft, das im Winter übrigens geschlossen ist, läuft normal.«
»Was heißt geschlossen?«
Sir James schaute mich an. »Ganz einfach. Da bleiben die Tiere in ihren Gehegen und werden dort gepflegt.« Er räusperte sich. »Das werden Sie alles selbst sehen können.«
»Bis auf den Geier«, murmelte ich.
»Bitte?«
»Schon gut, Sir James. Wir werden fahren. Claygate ist nicht zu weit entfernt. Wir können vor Einbruch der Dunkelheit noch dort sein. Leben die beiden Flints dort auf dem Gelände?«
»Ja, sie haben da ihr Wohnhaus. Sollten sie Hilfe brauchen, ich bleibe in meinem Büro. Auch in der Nacht oder zumindest bis zum späten Abend.«
»Meinen Sie, daß wir den Fall heute noch lösen?«
»Darum bitte ich.
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