1103 - Das Azteken-Ritual
dem großen Grundstück mehrmals gesehen zu haben. Nie richtig, nur so etwas wie einen Schatten. Wenn sie genauer hatte hinschauen wollen, dann war der Schatten plötzlich verschwunden gewesen. Genau das bereitete ihr Sorgen. Mit ihrem Mann hatte sie darüber nicht gesprochen, der hätte sie ausgelacht, aber in der Nacht wollte sie seit diesem Zeitpunkt nicht mehr gern allein bleiben.
Etwas ging in dieser Vogelwarte vor, und Becky wußte nicht, was es war. Die Vögel zeigten sich manchmal sehr verhaltensgestört. Da krakeelten sie in den Käfigen, und ihre Schreie hörten sich an wie die von Gefolterten.
Becky stieg in den Sattel und radelte los. Sie hatte kein bestimmtes Ziel. Sie wollte nur in die Runde fahren. Durch das Gelände radeln und auch in den dichteren Wald hinein, um sich dort umzuschauen. Manchmal mußten Wege freigeräumt werden, wenn der Wind mal wieder Schaden angerichtet hatte.
Becky kannte sich aus. Seit einigen Jahren führten sie und ihr Mann Derek die Vogelwarte und konnten sich über den sommerlichen Besuch nicht beklagen.
Das Rad war ein Mountainbike. Ideal für dieses Gelände, in dem es nur Feldwege und keine geteerte Straße gab, die hörten vor der Vogelwarte auf.
Becky Flint hatte noch die dicke Jacke übergestreift. Es war zwar April, aber das Wetter war unbeständig. Der Wind brachte noch immer die Kälte des entfliehenden Winters mit. Man konnte in diesem Monat sogar mit Schnee rechnen.
Sie fuhr in den Wald.
Das Gebiet für ihre Vögel, wenn sie freigelassen wurden. Dann schwebten sie darüber hinweg.
Manchmal stießen sie auch in die Hecken hinein, um dort nach Beute zu suchen. Andere wiederum kreisten über die freien Wiesen und Flure. Besonders die Bussarde und Adler, die sich sehr wohl fühlten.
Im Augenblick befanden sich die Tiere noch in den weiträumigen Gehegen. Auch der Geier hatte sich darin befunden. Er war trotzdem frei gekommen, und daran mußte jemand gedreht haben. Sie und ihr Mann waren es nicht gewesen. So blieb nur dieser geheimnisvolle Fremde übrig, dessen Schatten Becky gesehen hatte.
Wer war er? War er ein Landstreicher? Oder hatte er etwas mit dem Herzen zu tun, das der Geier im Schnabel gehalten hatte? Sie war davon überzeugt, daß es noch Ärger geben würde.
Wahrscheinlich mußte die Eröffnung sogar verschoben werden, wenn die Polizei bis dahin kein Resultat erreicht hatte.
Becky fuhr auf den hügeligen Teil des Geländes zu. Sie mußte jetzt hart in die Pedale treten, aber die Reifen griffen, auch wenn der Boden von der letzten Regennacht noch feucht war. Es hatte nicht viel geregnet, aber einige Pfützen hatten sich an diesen schattigen Stellen gehalten. Einige Wochen später würde der Pfad hier so gut wie zugewachsen sein. Dann breiteten sich die Büsche und das Unterholz wieder aus.
Der Wald war still. So wie immer. Becky hörte nur ihr eigenes Atmen und die Fahrgeräusche. Hart trat sie in die Pedalen, und ihr Gesicht zeigte einen verbissenen Ausdruck. Sie kämpfte sich voran, ein direktes Ziel hatte sie nicht. Sie wollte die Höhe erreichen und von dort ihren Rundblick über das Gelände starten.
Sie war mit einem unguten Gefühl losgefahren, und dieses Gefühl hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt gehalten. Zu besorgniserregend waren die Vorfälle der letzten Tage gewesen. Wenn die Leiche, der das Herz fehlte, noch nicht gefunden war, dann würden die Polizisten zurückkehren und noch einmal alles durchsuchen. Das war ihr schon angedroht worden. Sie hoffte allerdings, daß Derek, der sich ja in London aufhielt, da einiges regeln konnte.
Und Becky dachte an den Schatten. Immer und immer wieder kam er ihr in den Sinn. Sie konnte sich sogar vorstellen, daß er urplötzlich vor ihr auftauchte und sich mit ausgebreiteten Armen auf den Weg stellte.
Für sie war dieser Mann ein Phantom. Er war immer da, aber trotzdem nicht vorhanden.
Sie fuhr weiter. Die Strecke war noch steiler geworden. Zugleich gab sie ihr Hoffnung, denn sehr bald hatte sie die Kuppe erreicht. Auch die Vegetation hatte sich verändert. Die hohen oder höheren Bäume waren verschwunden. Ein paar Reste des Niederwalds standen hier, das war auch alles.
Ansonsten herrschte das Buschwerk vermischt mit dem hohen Unkraut vor, das den Weg säumte.
Noch eine Kurve. Dann noch wenige Meter. Danach war es geschafft.
Becky bremste. Hart. Fast wäre sie vom Rad gekippt, und beinahe hätte sie den Gegenstand überfahren, der sie zu diesem Bremsmanöver gezwungen hatte.
Es war ein
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