1103 - Das Azteken-Ritual
dessen Schnabel sich ein menschliches Herz befand. Der Vogel hat es nicht gefressen. Er hatte etwas anderes damit vor. Ich denke mir, daß er es zu einem bestimmten Ziel bringen wollte. Das kann durchaus eine Zelle im Zuchthaus gewesen sein.«
Ich sagte nichts und startete.
»He, bekomme ich keine Antwort?«
»Nein, Suko, aber du hast Recht…«
***
Becky Flint verließ ihr Haus, das mehr einer großen Hütte glich und aus Holz gebaut war. Sie ging nicht sehr weit, sondern blieb vor der Tür stehen, stellte den Kragen ihrer Jacke hoch, um sich gegen den leicht kühlen Wind zu schützen und rückte das Fernglas zurecht, das vor ihrer Brust hing.
Dann schaute sie nach vorn und zur Seite. Das Holzhaus stand günstig. Von hier aus fiel der Blick hinein in das Gelände mit seinen sanften Hügeln, den an manchen Stellen dichten Wald und auch den Wiesen und anderen freien Flächen, auf denen die großen Gehege standen. Darin waren die Vögel untergebracht worden, die sich besonders in der kalten Jahreszeit dort wohler fühlten. Aber die war vorbei. Der Frühling stand an. Es hatte schon einige warme Tage gegeben, so daß die Natur regelrecht hatte explodieren können.
Die Bäume zeigten das erste zarte Grün. Besonders die Birken waren schon weit gediehen, aber auch Sträucher und Büsche hatten das grüne oder - blühende Kleid angelegt.
Die Vögel merkten ebenfalls den Umschwung. Sie wollten raus. Die Gehege engten sie zu sehr ein.
Sie wollten fliegen und endlich in die klare Luft stoßen.
Der Vogelpark war noch nicht geöffnet. Erst am ersten Mai sollte dies geschehen. Da kamen dann auch die Pächter der beiden Restaurants von ihrer Überwinterung aus Mallorca zurück. Dann tauchte auch der Besitzer des Kiosks auf. Dann gab es wieder Eis für die Kinder, und Beckys Mitarbeiter wußten ebenfalls Bescheid. Sie würden den Job den ganzen Sommer über tun. Nur Eddy Cohan war nicht zu erreichen gewesen. Er hatte sich nie gemeldet. Das bereitete ihr schon leichte Sorgen.
Schließlich mußte er auf die neue Saison vorbereitet werden.
Der Vogelpark war durch Menschenhand nur wenig verändert worden. Abgesehen von den Bauten für die Vögel, war nur eine Felswand freigelegt worden. Die Büsche und das Gestrüpp hatte man dort abgehackt, so daß der blanke Stein zu sehen war. Ein Ziel für die Adler, die sich dort besonders wohl fühlten.
Becky ging auf das nächstliegende Gehege zu. Es war groß genug, um zwei Eulen und einen Uhu aufzunehmen. Die Tiere hockten auf Baumstämmen, die aussahen wie Pfähle. Sie hatten ihre Köpfe im Gefieder vergraben und schliefen.
Besucher konnten auch zwischen den Gehegen hindurchgehen. Die Wege waren breit genug. Man sah die Falken, die Sperber und Bussarde, die auch jetzt dort saßen, wobei die Umgebung so natürlich wie möglich gehalten worden war.
Die Vögel erkannten die Frau. Sie schauten sie an. Ein Falke flog bis dicht an das Gitter heran. Er krallte sich fest und schrie Becky etwas zu.
Der Vogel war ihr besonderer Freund. Sie wollte ihn auch am Bauch streicheln, aber das Tier hackte mit dem Schnabel nach ihr und zog sich zurück.
Becky zuckte zusammen. Die Reaktion verstand sie nicht. War der Vogel krank? Hatte er sich etwas eingefangen? Oder war er einfach nur aggressiv geworden?
Sie hatte keine Ahnung und wollte warten, bis ihr Mann Derek aus London zurückgekehrt war. In der letzten Zeit hatte es Probleme gegeben. Einer ihrer beiden Geier war erschossen worden. In seinem Schnabel hatte man das Herz eines Menschen gefunden. Die Polizei war schon auf dem Gelände gewesen, hatte sie und ihren Mann verhört und schließlich eine Untersuchung begonnen, die allerdings wenig erfolgreich verlaufen war.
Becky war schon geschockt gewesen. Das Herz eines Menschen. Sie konnte es sich kaum vorstellen. Geier sind Aasfresser. Da mußte es wohl dem Tier gelungen sein, eine Leiche zu finden, die irgendwo im Gelände gelegen hatte. Er hatte das getan, was er tun mußte. Schließlich nannte man Geier nicht grundlos Polizisten der Natur.
Becky ging bis zu einem kleinen Schuppen. Dort hatte sie ihr Fahrrad abgestellt. Sie wollte eine Fahrt über das Gelände machen und sich einfach nur umschauen.
In der freien Natur fühlte sich die Frau immer wohler als im Haus. In der letzten Zeit war sie sehr nervös geworden. Es hing nicht nur mit dem Fund zusammen, das hatte auch andere Gründe. Sie fühlte sich belauert und beobachtet. Sie wurde einfach das Gefühl nicht los, einen Fremden auf
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