1114 - Der Pestmönch
sein allerletztes Nicken galt Suko und auch Britta.
Sie hatte alles mit angesehen. Sie hatte auch nicht weggeschaut. Die Frau stand da wie ein Denkmal, die Hände gegen die Wangen gepreßt, unfähig, sich zu rühren.
Der Pestmönch ging mit seiner Beute weiter. Er schleifte Lorenzo die Treppe hinab. Sehr bald waren beide nicht mehr zu sehen und nur zu hören. Immer wenn der menschliche Körper auf eine Stufe schlug, zuckten wir zusammen.
Der Pestmönch und sein Opfer waren nicht mehr zu sehen. Aber das Erbe umgab uns weiterhin.
Es waren all die zahlreichen Menschen mit den unterschiedlichen Köpfen. Die Gestalten des Grauens, die uns vorkamen wie aus einem Horrorland entlassen.
Wurden sie wirklich wieder normal? Hörte der Alptraum für sie auf, damit sie den Rest ihres Lebens noch normal verbringen konnten?
Ein gellender Schrei riß mich aus diesen Gedanken. Er war aus der Tiefe gedrungen, fegte als Schauerecho zu uns hoch und verweht schließlich.
»Das Tor ist zu«, sagte Suko. »Und der Pestfriedhof hat sein letztes Opfer bekommen.«
Ich schaute auf mein Kreuz, das wie verloren in der rechten Hand lag. Gedanken und Vorstellungen schwirrten durch meinen Kopf. Ich überlegte, ob es Sinn hatte, den Talisman zu aktivieren, um die Menschen so wieder normal werden zu lassen.
Nein, wahrscheinlich nicht. Es lief nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich befürchtete auch, daß eine Aktivierung des Kreuzes für den endgültigen Tod der älteren Leute sorgte. Wahrscheinlich würde alles darauf hinauslaufen, daß wir eine entsprechende Anzahl von Krankenwagen bestellen mußten, damit die Menschen in Krankenhäuser gebracht und dort operiert werden konnten.
»John, schau dir das an…«
Glenda hatte leise und erstaunt gesprochen. Ihr war als erste die Veränderung aufgefallen, die mit den Menschen vor sich ging. Das heißt, mit ihren zweiten Köpfen. Sie, die bisher ihr Eigenleben geführt hatten, verendeten auf den Schultern hockend. Die Magie war gestorben. Nichts hielt sie mehr am Leben. Der Pestmönch hatte das Tor geschlossen. Das übertrug sich auch auf die Züchtungen.
Die Köpfe faulten weg wie alte Pflanzen in einem Bio-Container. Dunkelgrün, braun und schwarz wurden sie und fielen ab.
Überall hörten wir das Klatschen, wenn sie auf den Boden trafen. Es waren Geräusche, die auch von alten, nassen Lappen hätten stammen können. Jeder Mensch wurde von ihnen befreit, aber keiner gab einen Kommentar ab. Es lachte auch niemand, es war keine Freude da. Stoisch schauten die Alten zu, wie die Köpfe von ihren Schultern fielen, und erst Minuten später, als jeder wieder normal aussah, erwachten sie aus ihrer Erstarrung.
Jetzt waren auch wir gefordert. Wir mußten erklären, wir mußten mit ihnen reden, und wir konnten ihnen sagen, daß zum Glück alles vorbei war.
Es hatte Verletzte gegeben, aber keine Toten, und darüber konnten wir uns freuen.
Auch Glenda war glücklich. Bevor sie sich um jemand kümmerte, schlug sie die Hände um meinen Hals. »Eines müssen wir uns versprechen«, sagte sie.
»Was denn?«
»Laß uns nie mehr eine Glücksreise machen.«
»Darauf kannst du dich verlassen«, sagte ich und küßte sie mitten auf den Mund…
ENDE des Zweiteilers
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