1116 - Der Hexenkelch
romantischer nicht hätte sein können. Das untergehende Licht der Sonne strahlte ihn flutartig an. Er stand wie in einem Gefängnis aus roter Helligkeit und schien dabei von geisterhaften Flammen umgeben zu sein. Niemand hätte auf den Gedanken kommen können, daß auf diesem Boot der Tod lauerte.
Die Ausfahrt aus dem Hafen war leicht gewesen. Das offene Meer stellte Suko vor Probleme. Mit der Dünung kam er zurecht, aber nicht mit den oft querlaufenden Wellen, die hart gegen sein Boot schlugen, als wollten sie es zertrümmern.
Das Wasser schlug über. Mehrmals schon war Suko von einer kalten Dusche überrascht worden.
Die Spritzer klebten in seinem Gesicht. Er schmeckte das salzige Wasser auf den Lippen. Der Bug teilte die Wellen oder schaufelte sie wie Scherben an den Seiten hoch, bevor sie wieder in sich zusammenfielen.
Zum Glück war der Kahn wasserdicht, und auch der Motor ging nicht aus. Suko konnte weiterfahren und näherte sich dem Ziel auf direktem Kurs.
Der Kutter war nicht weiter herausgefahren. Suko, für den jede Sekunde zählte, kam die Entfernung jedoch weit vor, und er wünschte sich, doppelt so schnell zu sein.
Das Meer war ein einziger wogender Teppich. Auf den Wellenkämmen tanzten schaumige Flocken.
Es war weit, und es war so leer, fast unendlich.
Bis Suko den Kopf sah.
Dank seiner guten Augen hatte er schon beim ersten Hinschauen gesehen, daß sich ein Mensch durch die Wellen kämpfte. Zuerst dachte er an John Sinclair. Beim zweiten Hinschauen, als eine Welle den Schwimmer angehoben hatte, sah Suko, daß es nicht sein Freund war. Aber er kannte den anderen auch.
Im Wasser trieb Josuah Black.
Suko änderte seinen Kurs etwas. Es gehörte einfach zu seinen Pflichten, den Mann aus dem Meer zu holen, denn es war fraglich, ob er es bis zum rettenden Ufer schaffte.
Suko lenkte das Boot auf ihn zu. Auch der Kapitän hatte ihn gesehen. Er besaß noch die Kraft, um ihm mit der rechten Hand zuzuwinken, dann wurde er von einer Woge in das Tal hineingerissen und weitergeschleift.
Im Boot lag kein Rettungsring. Aber ein Notpaddel. Das ergriff Suko, als er glaubte, nah genug an den Schwimmer herangekommen zu sein, und drückte es über Bord.
»Fassen Sie zu!« brüllte er.
Black hatte ihn verstanden. Neben seinem verzerrten Gesicht tauchten die beiden Arme auf, deren Hände nach dem Paddel griffen und es auch zu fassen bekamen.
Zugleich griff Suko nach. Mit einer Hand zerrte er den Mann höher und hievte ihn schließlich in den Kahn hinein. Josuah Black war erschöpft. Er konnte nicht mehr. Er lag auf dem Bauch. Er hustete.
Er spuckte Wasser, und Suko schlug ihm auf den Rücken. Er half ihm auch so weit hoch, daß er ihn drehen konnte. Black hockte auf den Planken und wollte reden, was nicht so einfach war, da er noch immer mit sich selbst zu tun hatte. Völlig erschöpft, aber von einem starken Willen beseelt, hob er den rechten Arm an und wies mit zitternder Hand über Bord.
»Der Kutter… da ist Sinclair. Nicht allein. Die Hexe ist bei ihm. Verdammt, es wird höchste Zeit. Ich habe ihn nicht ganz befreien können. Sie will zuerst sein Blut in den Kelch fließen sehen. Verstehst du das? Sein Blut!«
»Alles klar«, sagte Suko. Er warf einen Blick nach vorn. Auch der Kutter schaukelte. Zwar nicht so stark wie das kleine Boot, aber er hob sich vor Suko in die Höhe, drängte sich wieder zurück, und wenn ihn nicht alles täuschte, dann bewegte sich dort jemand an Deck.
John Sinclair war es nicht.
Das konnte nur die verdammte Hexe sein.
Die Frage war, ob sein Freund noch lebte. Um das herauszufinden, durfte er keine Sekunde mehr verlieren…
***
Den Kelch hatte sie nicht losgelassen und behielt ihn in der linken Hand wie einen kostbaren Schatz.
Ihre rechte Hand mit dem Messer näherte sich meiner Gestalt. Hatte sie beim erstenmal nur mit der Klinge mein Gesicht gestreichelt, so setzte sie die Spitze der kurzen Klinge nun dort an, wo sich der letzte geschlossene Knopf meines Hemdes befand. Nein, sie ritzte die Haut nicht ein. Sie wollte zuerst mein Hemd in Fetzen schneiden, was ihr auch durch einen kleinen Ruck gelang, so daß ein Teil meines Oberkörpers schon freilag, aber nicht die Stelle, an der sich das Kreuz befand.
Sie sah wohl die Kette, stutzte einen Moment und schnitt weiter an meinem Hemd.
Ich hatte die Arme noch nicht frei. Ich hätte sie vielleicht frei bekommen, doch das hätte einfach zu viel Mühe gekostet und auch zu lange gedauert.
Außerdem hätte Alana es nicht
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