1118 - Zwischen Himmel und Hölle
geweihten Silbergeschossen entgehen wollte.
Mir war aufgefallen, dass sich etwas an seiner Haltung verändert hatte. Er hatte die Arme so angewinkelt und angehoben, dass die Hände nicht weit von seinem Amulett entfernt waren. Dabei bewegte er nur seine Augen, um einmal mich und zum zweiten Bill anschauen zu können.
»Schießt!« rief er.
Ich drückte ab. Auch Bill schoss. Die Kugeln jagten von verschiedenen Seiten auf ihn zu. Meine würde ihn von vorn treffen, und Bills Geschoss würde von der Seite her in seinen Kopf jagen.
Es lief alles so schnell ab wie immer. Beide Schüsse hörten sich an wie einer. Wir hätten Veritas jetzt zusammenzucken und dann fallen sehen müssen, wenn alles glatt verlaufen wäre. Doch es lief nicht glatt in unserem Sinne, sondern in seinem.
Wie gesagt, die Zeit raste weiter, aber sie kam uns stark verlangsamt vor. Die Luft und die Umgebung schienen sich mit einer fremden Kraft aufgeladen, zu haben.
Und ich sah, wie sich Taske bewegte. Blitzschnell. Und er war nicht allein. Auf einmal schienen es zwei von seiner gleichen Gestalt zu geben. Ob er den Boden berührte oder mit den Füßen in der Luft schwebte, war ebenfalls nicht zu erkennen.
Er war zu einem rasenden Schatten geworden und zugleich zu einem zuckenden Etwas. Eine Gestalt, die zersprungen war in etwas so ähnlichem wie einem Zeitloch, die es aber trotzdem noch gab und die sich geschickt bewegte.
Die Sekunde war für uns keine Sekunde mehr. Sie hatte sich um ein mehrfaches gedehnt, und ich konnte mir vorstellen, dass es Vernon Taske war, der die Zeit wieder in den normalen Ablauf brachte, was er durch ein Lachen ankündigte.
Das Echo der beiden Schüsse schien noch durch den Garten zu hallen, als er uns seine Hände präsentierte. Den linken Arm hielt er Bill entgegengestreckt, der rechte deutete nach mir. Auf beiden Handflächen lagen die Kugeln. Unversehrt. Nicht eingedrückt und nicht geplättet.
»Ich hatte es dir gesagt, John«, flüsterte Bill, wobei er stöhnte und den Kopf schüttelte.
Auch mir war unbegreiflich, was ich da gesehen hatte. Nur der große Meister selbst empfand kalten Triumph. Er ließ die Kugeln fallen und rief uns zu »Wer bin ich? Bin ich ein Mensch? Bin ich ein Übermensch? Bin ich Gott?«
Ich schüttelte den Kopf.
»He, Sinclair, warum geben Sie keine Antwort? Sind Sie so geschockt?«
»Niemand ist Gott«, sagte ich.
»Aber ich fühle mich so. Denkt nach. Sagt man nicht, dass Gott die Zeit erfunden hat?« Er kicherte. »Mag sein. Aber mir ist es gelungen, sie zu manipulieren. Ich kann die Menschen in der Zeit erstarren lassen. Zwischen Himmel und Hölle, und ich freue mich darauf, es mit Ihnen zu tun, Sinclair. Kommen Sie her, oder soll ich Sie holen?«
»Sparen Sie sich Ihre Kräfte, Taske, ich werde zu Ihnen kommen. Wobei ich noch immer nicht begreife, wie Sie es geschafft haben.«
»Das ist leicht.«
»Für Sie schon, nicht für mich.«
»Kann ich mir denken, dass Sie noch nichts von dem Zweiteiligen Körper gehört haben.«
»Das habe ich wirklich nicht.«
»Und genau das bin ich!« erklärte er und posierte dabei wie ein schlechter Schauspieler. Er war sehr stolz darauf, etwas Besonderes zu sein. Mich brachte das nicht weiter. Aber ich hatte den neuen Begriff nicht vergessen. Von einem Zweiteiligen Körper war gesprochen worden, und der war auch mir neu.
Ich schaute kurz auf meinen Freund Bill, der ebenfalls zugehört hatte und nur mit den Achseln zuckte. Auch ihn hatte man noch nicht eingeweiht.
»Was ist das, von dem Sie gesprochen haben, Veritas?«
»Ein Meisterstück«, erklärte er flüsternd. »Ja, ein wahres Meisterstück. Er ist der Körper der Illusionen. Die täuschende Gestalt, die allein durch einen Willensakt entstanden ist oder geschaffen werden kann. Dieser Körper hat keine stoffliche Verbindung mit dem physischen. Er ist geistig, ätherisch. Er geht durch alles hindurch.«
»Ein Astralleib«, sagte ich.
»Nein und ja. Er ist geschaffen worden, verstehen Sie? Ein Astralleib ist mein Ebenbild auf einer anderen Ebene, aber nicht der Zweiteilige Körper. In der indischen Lehre ist oft von ihm die Rede. Die dortigen Gurus haben ihn manchmal sogar beherrscht.« Vernon Taske lächelte stolz. »Und ich bin auf dem besten Wege, es ebenfalls zu können.«
»Ja, Sie fangen Kugeln.«
»Es war der echte Körper, Sinclair. Ich kann ihn manipulieren und ihn innerhalb von Sekunden verändern. Durch eine rasende Schnelligkeit löse ich ihn auf und lasse nur einen
Weitere Kostenlose Bücher