112 - Der weiße Mönch
und verlor ihn dabei für einen Augenblick aus den Augen. Plötzlich war der Vogel verschwunden. Statt seiner trat dem Cro Magnon Dorian Hunter in Fleisch und Blut entgegen.
Unga grinste. „Das war großartig, Dorian. Du schaffst es, sogar mich zu überraschen."
„Ich habe ein wenig die Gegend ausgekundschaftet, nachdem ich vom Tempel zurückgekehrt war", entgegnete der Dämonenkiller. „Ich muß aufpassen, daß Luguri und seine Dämonen mich nicht entdecken. Die sollen glauben, daß ich in dem leeren Gewölbe unter der Klosterruine gefangengehalten werde."
„Apropos - wo befindet sich die Ruine?"
„Komm, wir gehen gemeinsam hin."
„Vorläufig kannst du dein wirkliches Aussehen behalten", meinte Unga. „Von irgendeiner dämonischen Ausstrahlung ist hier noch nichts zu bemerken."
„Ja, das hab ich auch festgestellt - obwohl ich sicher bin, daß Luguri längst unterrichtet ist und seine Spießgesellen ausgesandt hat. Früher oder später treffen wir auf sie. Sag mal, wo stecken, eigentlich Coco und die anderen?"
Unga wies mit dem Daumen über die Schulter zurück. „Irgendwo in den Wäldern. Ich habe sie verlassen, um mich mit dir zu treffen."
Er schloß sich Dorian an, der sich nun umdrehte und zielstrebig durch das Unterholz marschierte. „Bin ich froh, daß du endlich da bist!" sagte Unga. „Was hat es mit der Ruine nun eigentlich konkret auf sich?"
Der Dämonenkiller erzählte über den Kult der Weißen Mönche, der vor dreihundert Jahren die Menschen in dieser Gegend entsetzt hatte. Zum Schluß erklärte er: „Es wird einen harten Einsatz für uns geben, Unga. Die Ruine und der Weiße Mönch passen mir gut ins Konzept. Ich täusche vor, daß das Scheusal mich als Gefangenen bewacht, und locke auf diese Weise Luguri an. Der brennt doch darauf, mich endlich zu vernichten, wird sich aber gehörig in die Finger schneiden."
Unga bahnte sich einen Weg durch ein Dornengesträuch. „Aha, es ist also eine Falle für Luguri. Deshalb hast du Abi den Tip gegeben."
„Ja."
„Aber dein Vorgänger im Tempel des Hermes Trismegistos hat doch vermerkt, man sollte den Weißen Mönch auf gar keinen Fall wecken und unter keinen Umständen seinen Sarg öffnen? Rufen wir da nicht etwas hervor, das uns selbst schaden kann?"
Dorian blieb kurz stehen und drehte sich zu ihm um. Seine grünen Augen fixierten Unga. „Natürlich. Aber es bleibt wie üblich unserem Geschick überlassen, die Dinge so zu lenken, daß sie uns zum Erfolg gereichen. oder?"
„Natürlich."
„Du bist skeptisch, was?" Dorian hob die Schultern. „Das kann ich dir nicht verdenken. Aber wir müssen es riskieren, Unga. Anders können wir Luguri kein Schnippchen schlagen. Ich glaube auch, ich hab mich intensiv genug auf dieses Unternehmen vorbereitet."
Den Rest des Weges legten sie schweigend zurück. Jeder hing seinen Gedanken nach. Unga hatte den Eindruck, vom Dämonenkiller kreuz und quer durch den finsteren Wald geführt zu werden. Es gab Steigungen und Gefälle. Bald wußte der Cro Magnon kaum noch, an welcher Seite des Großen Arber sie sich befanden.
Endlich öffnete sich das Dickicht, und sie hatten einen grauen Hang vor sich. Dorian duckte sich und wies Unga durch eine Geste an, es ihm gleichzutun. Stumm betrachteten sie, was sich da vor ihnen erhob.
Der Hang war schroff und nahezu vegetationslos. Deutlich hoben sich die Umrisse rudimentärer Gesteinsreste gegen den düsteren Grund ab. Einstmals mochten sie schneeweiß gewesen sein, jetzt besaßen sie einen gräulichen Farbton und waren mit Schimmel und häßlichen Flechten überzogen.
In ihrer räumlichen Anordnung erinnerten sie an das lückenhafte Gebiß eines Giganten. Zwischen den Mauerresten klafften an zwei Stellen schwarze Lucken, deren Bedeutung auf den ersten Blick schwer festzustellen war.
Dorian machte dem Cro Magnon durch einige Zeichen klar, daß jenes die verschütteten Eingänge zum unterirdischen Gewölbe unter der Ruine waren. Er zögerte, das Dickicht des Waldes zu verlassen. Irgend etwas sagte ihm, daß Luguris entmenschte Gefährten nicht fern waren. Und es stellte sich als richtig heraus, Vorsicht gewahrt zu haben.
Von Westen her näherte sich etwas. Dorian und Unga zogen sich weiter ins Gebüsch zurück und streckten sich auf dem Untergrund aus. Sie waren nicht die einzigen, die die Bewegung in der Ferne konstatiert hatten. Zwischen den Mauerresten des Klosters stieg ein Schwarm schwarzer, schlanker Vögel auf. Mit trägen Flügelbewegungen und
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