112 - Der weiße Mönch
aber daran, seinem Opfer das Blut auszusaugen.
„Verschieb das auf später!" herrschte ein Untoter ihn an. „Wir haben jetzt Wichtigeres zu tun. Ein paar von euch schaffen die vier Gefangenen nach oben. Wir brauchen sie vorerst nicht mehr. Aber wartet noch damit, ihnen die Köpfe abzureißen und die Leiber aufzuschlitzen!"
Karl und Ullrich flehten schluchzend um Gnade, aber da stießen sie bei den Dämonen auf taube Ohren. Sie wurden gepackt und nach oben geführt. Die beiden Vampire zerrten Herbert über die Stufen der Steintreppe, grinsten dabei und delektierten sich an dem Gejammer des allmählich wieder zu sich kommenden.
„He da!" rief der Eremit. „Was hat das zu bedeuten? Allmächtiger, steh uns bei!"
Er hatte kaum ausgesprochen, da wurde er von mehreren Seiten festgehalten. Ein Gnom kletterte an seinem mageren Körper empor, riß an seinem schlohweißen Haar und preßte ihm dann eine kalte Hand auf den Mund.
Abi Flindt überlegte, ob er in das Labyrinth flüchten sollte, doch er sagte sich, daß es aussichtslos war. Die Vampire beispielsweise orientierten sich auch in der totalen Finsternis anhand von Ultraschallwellen, die sie aussandten und wieder auffingen. Garantiert hätten sie ihn gefunden. Nein, vorerst mußte er sich fügen und abführen lassen.
„Tut mir leid, alter Mann", sagte er' zu dem Eremiten. „Ich konnte" nicht anders handeln."
„Ich begreife deine Situation, mein Freund", entgegnete dieser.
Abi wurde abtransportiert, und etwa fünfzehn Dämonen blieben bei dem Alten zurück.
Die drei Untoten bauten sich mit überheblicher Pose vor ihm auf, und einer fuhr ihn an: „Also? Du weißt, wo das Versteck des Weißen Mönches ist. Bring uns hin!"
Der Gnom gab den Mund des Eremiten für einen Augenblick frei.
„Ich habe keine Ahnung, wovon ihr sprecht", versicherte der verwandelte Dämonenkiller.
Die Untoten heulten auf. Einer schlug dem vermeintlichen Einsiedler die Faust ins Gesicht.
„Dich bringen wir schon zum Plaudern", schrie er. „Du wirst noch darum betteln, uns führen zu dürfen. Womit sollen wir beginnen? Reißen wir dir die Fingernägel aus oder schneiden wir dir die Ohren ab? Verbrennen wir deine Hände oder stechen wir dir die Augen aus?"
Er zählte noch eine Reihe anderer Foltermethoden auf, und der Dämonenkiller begann rollengemäß am ganzen Leib zu zittern. Er mußte dabei daran denken, daß sich das, was sich hier vor dreihundert Jahren abgespielt hatte, im Vergleich zu den jetzigen Ereignissen doch weitaus dramatischer ausgenommen hatte.
Drachelsried am Fuß des Großen Arber, am 12. Oktober Anno 1676.
Ein einsamer Reiter durchquerte am späten Nachmittag das Dorf und hielt nach dessen Bewohnern Ausschau. Er trug einen langen, blauschwarzen Umhang, der ihm bis über die Knie reichte. Sein Gesicht war durch eine Kapuze der gleichen Farbe verhüllt. Überall, wo er zuvor aufgetaucht war, hatte er sich als Büßer ausgegeben, dem die himmlische Gerechtigkeit wegen einer schwerwiegenden Verirrung auferlegt hatte, sich anonym zum verborgenen Kloster der Weißen Mönche zu begeben. Er hatte verbreitet, daß dies seine Strafe sei. Aber wo immer er mit dieser Erzählung aufgewartet hatte, waren die Menschen zutiefst erschrocken gewesen und hatten kaum gewagt, ihm nähere Auskunft zuerteilen.
Das Pferd des Büßers war ein hochbeiniger Apfelschimmel, ein stolzes und kräftiges Tier. Hart klapperten seine Hufe auf dem Kopfsteinpflaster der Dorfstraßen. Hier und dort saß der Büßer ab und begab sich in Häuser; er vermochte jedoch keine Menschenseele zu entdecken. Überall deuteten alle Zeichen auf hastigen Aufbruch hin. In einigen Gebäuden fand er sogar gedeckte Tische vor und Speisen und Getränke, die längst faulig geworden waren.
Das Dorf schien verlassen zu sein. Eine unheimliche Stätte war es geworden; ein Ort, an dem nur noch Geister verkehrten.
Ein magerer Hund erschien vor dem vermummten Mann und winselte. Er wedelte mit dem Schwanz, drehte sich immer wieder um und gab zu verstehen, daß er ihn irgendwo hinführen wollte. Der Büßer folgte ihm. Er band die Zügel seines Apfelschimmels an einem Holzpflock fest und schritt dem Hund nach. Der Weg führte auf einen Hinterhof. Ein paar Katzen flüchteten entsetzt durch einen schmalen, dunklen Gang.
Der Hund geleitete den Besucher in eine Küche, in der größte Unordnung herrschte. Ein Schrank war halb umgestürzt, und auf dem Boden lagen die Scherben zerbrochenen Geschirrs. In einem Tischbein
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