1122 - Der Prophet des Teufels
gibt es sicherlich mehr Geister als hier bei uns. Das ist kein Spaß, was ich Ihnen hier sage. Ich habe ihn gesehen, und ich bin fest davon überzeugt, dass es der Herr der Hölle war. Luise, meine Freundin, ist übrigens auch davon überzeugt.«
Man konnte es drehen und wenden. Diese Person war nicht davon abzubringen, den Teufel mit eigenen Augen gesehen zu haben, zusätzlich noch unterstützt von ihrer Freundin Luise.
Aber wen oder was hatte sie tatsächlich gesehen? Eigentlich nur das gleiche wie wir auf dem Film. Eine böse unheimliche Gestalt, die ein Stadium der Verwandlung erreichte und sich in ein Skelett verwandelte. So hatte es ausgesehen. Ich grübelte darüber nach, wie das Skelett ausgesehen hatte. Es war dunkel gewesen, beinahe schwarz, und dabei kam mir wieder der Schwarze Tod in den Sinn.
Auch er war mit einer Sense bewaffnet gewesen, aber er hatte sich nie in einer menschlichen Gestalt gezeigt. Hinzu kam, dass der Mörder stets Karten bei sich trug. Das konnte aufgesetzt sein, musste es aber nicht, denn oft nicht zu unrecht wurde das Kartenspiel auch das Gebetbuch des Teufels genannt, weil damit schon viel Unheil angerichtet worden war. Nicht im mystischen Sinne, sondern ganz real. Kartenspiel hatte Beziehungen und Familien zerstört. Wie viele Menschen hatten sich dieser Faszination nicht entziehen können und wie viele waren ins Elend geschlittert.
»Sie haben aber nicht gesehen, dass dieser Mörder seine Karten zeigte?« fragte ich.
Martha Klinger schüttelte den Kopf. »Nein, das habe ich nicht. Das weiß ich von Luise. Auf dem Friedhof hat er es getan und den Pfarrer geschockt.« Sie legte die Handflächen zusammen und zuckte die Achseln. »Das habe ich Ihnen schon alles gesagt.«
»Wenn er sich als einen Propheten bezeichnet«, fuhr ich fort, »dann müsste er doch auch so gehandelt haben. Propheten sind da, um etwas zu sagen oder in die Welt hineinzubringen. Botschaften. Schlechte und gute. Hat er nichts dergleichen gesagt?«
»Nicht bei der Beerdigung. Das hätte mir Luise bestimmt erzählt. Da ist sie ehrlich.«
Harry, der sich in den letzten Minuten nicht eingemischt hatte, rutschte bereits unruhig auf seinem Platz hin und her, bevor er fragte: »Sonst wüssten Sie nichts, was uns weiterhelfen könnte?«
»Leider. Aber mir reicht es«, erklärte sie mit schwacher Stimme.
»Ich kann nur hoffen, dass Sie diesen Teufel stellen und ihn wieder zurück in die Hölle schicken, wo er hingehört. Aber Menschen haben wohl noch nie gegen den Teufel gewonnen – oder?«
»Manchmal schon«, sagte ich. »Ach, hören Sie auf. Sie lassen sich immer wieder verführen. Das hat schon der große Goethe geschrieben. Gerade in diesem Goethe-Jahr wird immer wieder von ihm gesprochen und auch vom Faust. Ich habe ihn nie gelesen und auch nicht auf der Bühne gesehen. Jetzt kommt man nicht an ihm vorbei. Ich konnte ihn mir im Fernsehen ansehen und fand es wirklich schaurig, wozu Menschen alles fähig sind, wenn sie eine Chance bekommen, etwas zu erreichen, was sie sich immer gewünscht haben. Da verscherbeln sie ihre Seele, und ich glaube, dass es heute auch noch Gültigkeit hat.«
»Da kann ich nicht widersprechen«, sagte ich.
Harry Stahl war schon aufgestanden. Ich sah seiner Miene an, dass ihm gewisse Dinge nicht passten. Das war auch bei mir der Fall. Nur hatte ich mich besser in der Gewalt. Ich zeigte eben nicht, dass ich enttäuscht war. Vielleicht war es Harry auch peinlich, mich aus London geholt zu haben, obwohl er so wenig in der Hand hatte.
Martha Klinger sagte etwas, das ich gut nachvollziehen konnte.
»Ich habe aber Angst.« Sie schaute mich an. »Es kann doch sein, dass es erst der Anfang war. Dass er uns besuchen kommt oder?«
»Wen meinen Sie?«
»Mich. Oder meine Freundin.«
»Was sollte er damit bezwecken?«
»Warum fragen Sie das? Will der Teufel nicht Seelen in die Hände bekommen? Ist er darauf nicht scharf? Braucht er sie nicht für die Hölle? So steht es geschrieben. Wenn er einmal angefangen hat, wird er nicht aufhören. Er ist gekommen, um das Ende einzuleiten, und er wird hier anfangen. Einen Pfarrer hat er schon umgebracht«, flüsterte sie, »und man sagt, dass es nicht der einzige gewesen ist. Es gibt Gerüchte, Herr Sinclair. Ich bin nur eine unwissende alte Frau. Ich weiß ja nichts, bei Ihnen ist das etwas anderes. Er ist gekommen, um uns die Beschützer zu nehmen. Ich glaube noch daran, dass die Pfarrer die Stellvertreter Gottes auf Erden sind. Mögen Sie auch
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