1122 - Der Prophet des Teufels
noch so viele Fehler haben, doch wenn man sie uns nimmt, dann hat man schon eine Mauer eingerissen, die in all den Jahrhunderten aufgebaut worden ist. Und er hat sich eine gute Zeit ausgesucht. Wir stehen vor der Zeitenwende. Das neue Jahrtausend ist zum Greifen nahe, und viele Menschen haben Angst davor. Eine wahnsinnige Angst. Auf so etwas hat der Teufel nur gewartet, um endlich zuschlagen zu können. Ich bin davon überzeugt, dass die Schrecken des Mittelalters bald zurückkehren werden. Wir stehen vor der Apokalypse, und wenn es der Teufel schon nicht persönlich gewesen ist, so hat er doch jemand geschickt, mit dem er zusammenarbeitet. Mit dem Tod, dem Sensenmann, der nicht unbedingt eine Erfindung der Menschen sein muss.«
Sie hatte sehr lange gesprochen, und ich hatte auch geduldig zugehört. Es war für mich wichtig gewesen, denn diese Martha Klinger vertrat eine sehr menschliche Meinung, die von vielen geteilt wurde.
Mein Freund Harry hielt sich schon an der Tür auf. Er verdrehte leicht die Augen und schüttelte den Kopf. »Danke, dass Sie mir Ihre Meinung gesagt haben, Frau Klinger«, sagte ich.
»Ja, Sie sollen wissen, wie wir Laien denken.«
»Aber Sie brauchen sich trotzdem nicht zu fürchten. Nicht vor dem Teufel und auch nicht vor der Zeitenwende. Es wird glatt gehen, glauben Sie mir. Auch bei der Sonnenfinsternis ist nicht all das eingetroffen, was vorher gesagt wurde, das wissen Sie selbst.«
»Ich halte trotzdem die Augen offen.«
»Das sollen Sie auch.«
»Danke, dass Sie gekommen sind und mich nicht ausgelacht haben. Kollegen von Ihnen, Herr Stahl, haben das leider getan, und das fand ich nicht gut.«
Er nahm sie in Schutz. »Auch Polizisten sind nur Menschen, Frau Klinger.«
Wir gingen zur Tür. Die Altbauwohnung war für eine Person wirklich zu groß. Es lagen noch die alten Holzdielen auf dem Boden, die aber teilweise durch Teppiche verdeckt waren. In der Diele drehten wir uns der Tür zu.
Zuerst Harry Stahl. Und der blieb mitten in der Bewegung stehen.
Er hielt den Mund offen. Ein pfeifender Atemzug drang über seine Lippen. Ich sah, wie er die Hände zu Fäusten ballte.
Mit einem langen Schritt war ich bei ihm. »Was hast du? Was ist denn?«
Er gab zunächst keine Antwort, aber er stand günstiger zur Tür als ich. Mit dem rechten Arm deutete er zu Boden und direkt vor den Türspalt.
Ich schaute hin. Die Überraschung erwischte auch mich.
Jemand hatte uns einen Gruß unter die Türritze in die Wohnung geschoben. Es war eine Spielkarte. Als Motiv zeigte sie den Sensenmann!
Jetzt wussten wir, was uns bevorstand, und wir wussten auch, dass unser unbekannter Gegner den Kontakt zu uns gefunden hatte.
Es war der reine Wahnsinn, der Schock auf Raten, den wir allerdings schnell verkrafteten.
Harry Stahl lachte sogar, bevor er sprach. »Irgendwie bin ich froh, dass er Kontakt aufgenommen hat.« Er schob den rechten Fuß vor und stellte ihn auf die Karte. So zog er sie näher zu sich heran, bückte sich und hob sie auf.
Erst jetzt war Martha Klinger aufmerksam geworden. So schnell wie sie bei uns war, konnten wir sie gar nicht stoppen. Sie sah die Karten und auch das Motiv und verkrampfte sich.
»Nein, nein…«
Ich beruhigte sie. »Keine Panik, Frau Klinger. Die Botschaft galt nicht Ihnen, sondern uns.«
»Trotzdem«, flüsterte sie. »Er… er … muss hier im Haus gewesen sein. Der Teufel bei uns. O Gott, ich komme da nicht mit. Ich kann es nicht begreifen. Wie ist das möglich? Was will er? Warum ist er gekommen? Was habe ich ihm getan?«
»Bitte, Sie haben ihm gar nichts getan«, sagte ich. »Dieser Besuch galt einzig und allein uns.«
»Ach. Und wieso?«
»Weil er weiß, dass wir ihm auf den Fersen sind. Und er will auch zeigen, dass er sich nicht zu verstecken braucht. Es ist so etwas wie ein Fehdehandschuh für uns. Wir werden ihn aufnehmen und weitersehen. Mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen.«
»Dann muss er Sie bestimmt beobachtet haben.«
»Davon müssen wir ausgehen.« Ich rang mir ein Lächeln ab. »Einer wie er ist immer vorsichtig. Er sieht sich stets von Feinden umzingelt. Wer nicht für ihn ist, der ist gegen ihn, aber das ist uns bekannt.«
»Was werden Sie denn jetzt tun?« fragte Martha.
»Viel können wir nicht machen, da bin ich ehrlich. Aber wir lassen uns auch nicht einschüchtern. Er will die Auseinandersetzung, und er soll siebekommen.«
»Sie reden, ohne Angst zu haben, nicht wahr?«
»Ja.«
»Ich hätte Angst, die Wohnung hier zu verlassen.
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