1122 - Der Prophet des Teufels
er würde dann auch einen Blick in den Flur werfen können. Zudem war er auf Nummer Sicher gegangen und hatte seine Waffe gezogen.
Ich nickte ihm kurz zu. Dann drückte ich die Klinke nach unten und zog die Tür auf.
Nicht ruckartig, ich war vorsichtig. Zum Glück, denn ich erlebte etwas, was mich in Staunen versetzte. Von außen her hatte die Tür einen gewissen Druck erhalten, als hätte jemand etwas dagegen gekippt, das nun dank der Stellung das Übergewicht bekam.
Ich selbst konnte nicht so gut sehen wie Harry, und ich hörte ihn fluchen. Ich zog stärker.
»Vorsicht, John!«
Dann sah ich es selbst. Es war kein schwerer Gegenstand, der vor der Tür gelehnt hatte, denn ich weigerte mich, einen Menschen als Gegenstand zu bezeichnen.
Es war ein Mann. Ein Polizist. Derjenige, den wir hier im Haus getroffen hatten. Ich starrte in sein starres Gesicht mit den schrecklich weiten Augen und der Leere darin. Sein Mund war nicht ganzgeschlossen. Aus dem linken Winkel rann ein dünner Blutfäden hervor, der seinen Weg bis zum Kinn gefunden hatte.
Der Kollege lebte nicht mehr. Er fiel mir weiter entgegen, je mehr ich die Tür öffnete, und ich musste ihn am Rücken auffangen. Dort hatte ich ihn kaum berührt, als ich die schmierige Flüssigkeit auf meiner Handfläche spürte und sofort wusste, dass es Blut war.
Harry Stahl war nicht in den Flur hineingegangen. Er bewegte sich um mich herum, zog die Tür weiter auf, und ich schleifte den Mann in die Diele. Auf dem Bauch legte ich ihn nieder.
Jetzt sahen wir es mit eigenen Augen. Sein Rücken war von einer scharfen Waffe teilweise aufgeschlitzt worden, und uns beiden kam wieder die Sense in den Sinn.
In den ersten Sekunden sagten wir kein Wort. Das Schweigen war wie eine Belastung. Ich hörte meinen eigenen Herzschlag überlaut.
Harry erging es bestimmt nicht viel anders.
»Der Prophet des Bösen war schneller als wir«, flüsterte er. »Verdammt, er räumt auf.«
Ich nickte. Mir schossen zahlreiche Gedanken durch den Kopf.
Auf meine Haut hatte sich eine unnatürliche Kälte gelegt, und mir war klar geworden, dass unser Gegner die Konfrontation gesucht hatte. Dasbedeutete auch, dass er sich unter Umständen noch hier im Haus aufhielt.
Ich räusperte mich und ging danach auf die Tür zu. Jetzt hatte auch ich meine Beretta gezogen, doch es war mir nicht mehr möglich, die Tür zu öffnen.
Martha Klinger kehrte zurück. Den Grund kannten wir beide nicht. Vielleicht war es die Neugierde, jedenfalls stand sie plötzlich in der Diele. Sie sah, was passiert war, und den Schrei konnte sie nicht unterdrücken. Er hörte sich nicht einmal laut an. Es war einfach schrecklich, wie von einem Menschen abgegeben, der alle Hoffnung verloren hatte und unter Schock stand.
Ich wusste, dass sich so etwas noch verschlimmern konnte, wollte zu ihr eilen und mit ihr sprechen, als ein Seufzen über ihre Lippen drang und sie nicht mehr in der Lage war, sich auf den Beinen zu halten. Bevor sie völlig zusammenbrach, hatte ich sie erreicht und stützte sie ab. In meinen Armen blieb sie ohnmächtig liegen.
»Bleib bei dem Toten, ich bringe Martha weg.«
»Keine Sorge, John.«
Die Frau war recht schwer. Ich trug sie ins Wohnzimmer, wo ich sie auf die Couch bettete. Als ich wieder in die Diele zurückkehrte, hatte Harry Stahl die Tür bereits geöffnet. Er stand neben der alten Standuhr und schaute hinaus in den Flur.
»Was entdeckt?«
»Nein, John, nichts. Es ist alles so verdammt still geblieben. Schon unnatürlich ruhig. Allmählich habe ich den Eindruck, dass dieses Haus verflucht ist.«
»Warten wir ab.«
»Worauf? Auf ihn?«
»Ja.«
Stahl warf mir einen schnellen Blick zu. »Dann meinst du auch, dass er sich hier aufhält?«
»Nicht nur das. Es kann sogar sein, dass er das gesamte Haus in seine Gewalt gebracht hat.«
Für einen Moment schloss Harry die Augen. »In seine Gewalt gebracht hat oder kontrolliert.«
»Beides.«
Wir glaubten nicht, dass sich Martha Klinger in einer unmittelbaren Gefahr befand. Sie war für den Propheten des Bösen uninteressant geworden. Seine Pläne mussten sich mit unserem Auftauchen geändert haben. Jetzt brauchte er nichts mehr zu beweisen, jetzt ging es ihm nur darum, seine Feinde aus dem Weg zu schaffen.
Ich verließ als erster die Wohnung. Im Treppenhaus hatte sich von der Atmosphäre und von den Lichtverhältnissen her nicht viel verändert, und auch die Stille war gleich. Keine Stimmen, keine Musik, nicht das Öffnen und Schlagen von
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