1130 - Aufstand im Vier-Sonnen-Reich
setzte er in Gedanken hinzu, wer hat schon je davon gehört, daß Seth-Apophis schweigt und ihr auserwähltes Volk dem Untergang entgegentreiben läßt?
Flüchtig registrierte Harbelon, daß ihm der Mannberater mit kurzen Sprüngen zum Expreßlift folgte.
Die Soldaten traten zur Seite, und die Lifttür öffnete sich. „Der Gleiter steht bereit, Betreuer", sagte einer der Soldaten mit quäkend klingender Stimme. „Sie wollen noch immer auf eine Eskorte verzichten? Es ist gefährlich; die Theokraten haben den Regierungssitz umstellt. Man wird Sie töten, wenn Sie dem Mob in die Hände fallen."
„Keine Eskorte", entgegnete Harbelon knapp. „Natürlich keine Eskorte", warf der Mannberater unaufgefordert ein. „Selbst ein Narr muß einsehen, daß eine Eskorte nur die Aufmerksamkeit der Theokraten erregen wird. Womit bewiesen ist, daß Bescheidenheit geradezu lebenswichtig ..."
„Genug", unterbrach Harbelon unwillig. „Du hast selbst gesagt, daß wir uns beeilen müssen, Zwatlo."
Der Mannberater spannte den gelblichen Sprungschwanz und katapultierte sich mit einem Satz in die Kabine.
Harbelon folgte Zwatlo mit der ihm eigenen Bedächtigkeit.
Die Soldaten traten zurück. Sie waren kräftige Männer von zweieinhalb Metern Körpergröße.
Rotbraunes Federkleid von individuell unterschiedlicher Schattierung bedeckte den Schädel, den kurzen Rumpf, die Oberarme und Oberschenkel. Unterarme und Unterschenkel waren hornige Spiralen, die in dreifingrigen Händen und dreizehigen Füßen ausliefen. Das Gesicht bestand aus einem gelben, gallertartigen Organ. Dicke Hornstäbchen teilten das Multisinnesorgan und bildeten eine Art Zielkreuz. Unter dem Auge - das neben audiovisuellen Reizen auch Geruchs- und Temperatursensationen aufnahm - lag die elastische Sprechmembran. Rechts und links von dem Multiorgan waren die Faltmäuler angebracht, vertikale Gewebespalten.
Breite Hüftgürtel waren das einzige Kleidungsstück.
Prächtige Männer, dachte Harbelon, als sich die Tür langsam schloß. Jung und stattlich, und zweifellos haben sie schon manches Frauenherz gebrochen.
Der Gedanke versetzte dem Betreuer einen Stich, und er war dankbar, daß sich in diesem Moment zischend die Pneumopolster aufbliesen. Die prallgefüllten Plastikwülste umgaben ihn von allen Seiten, zwängten ihn in ihre schützende Umarmung.
Die Kabine fiel.
Schnell wie ein Stein stürzte sie in die Tiefe, durch den luftleeren, zweihundert Meter langen Schacht dem Erdboden entgegen. Harbelon empfand leichte Übelkeit, und sein Gallertauge nahm eine dunklere Färbung an.
Der Mannberater musterte ihn mit seinen Sensorzapfen. „Du hast wieder an Jacyzyr gedacht", sagte Zwatlo plötzlich. „Bei Seth-Apophis und den Schrecken von Marrschen, du trauerst diesem ungetreuen Weib noch immer nach, Duurn Harbelon, statt dich auf deine Aufgabe zu konzentrieren. Wie willst du unter diesen Umständen zur Orbitalstation gelangen? Die anderen Betreuer haben all ihre Hoffnung in dich gesetzt, und du hast nichts Besseres zu tun, als dich dem Liebeskummer hinzugeben."
Ein Ächzen durchlief die Kabine. Sie wurde abgebremst. „Gedanken sind frei", sagte Harbelon finster.
Der Mannberater zischelte abfällig. „Wenn die Theokraten die Macht übernehmen, sind, auch die Gedanken nicht mehr frei."
Harbelon verzichtete darauf, das Thema zu vertiefen.
Die Polster fielen in sich zusammen, die Tür glitt zur Seite, und rötliches Kunstlicht drang in die Kabine.
Der Betreuer entspannte sich unwillkürlich, als er die bewaffneten Männer und Frauen im Gleiterhangar anhand ihrer Hüftgürtel als Regierungssoldaten identifizierte.
Zwar hatte er nicht geglaubt, daß die Anhänger der Theokraten bereits bis in diesen streng gesicherten Bereich der Sieben Pyramiden vorgedrungen waren, aber in den letzten Stunden hatte es immer neue Hiobsbotschaften gegeben.
Kämpfe in den Straßen von Jays. Bürgerkriegsähnliche Unruhen in Falix, Caaw und Maaqual, den drei anderen Megalopolen Vruggs.
Dutzende von Anschlägen auf Regierungsbehörden im gesamten Vier-Sonnen-Reich allein in den letzten zwei Stunden. Die Nachrichtenverbindungen zu Zooberlus, Vruggs Nachbarplaneten, waren ausgefallen. Auf Xaas, dem vierten Trabanten der Sonne Aazot, hatten Agenten der Theokraten den Planetaren Rat gestürzt und ein Massaker unter der regierungstreuen Bevölkerung angerichtet.
Das Verstummen von Seth-Apophis hatte der sooldockschen Zivilisation einen ungeheuren Schock versetzt, und die Propaganda
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