1149 - Begraben, aber nicht vergessen
noch existierende lebende Leiche ließ sich Zeit. Sie schaute über den Russen hinweg auf die Öffnung, in der das heiße Feuer unruhig tanzte. Sie schien Maß zu nehmen. Sie glotzte hinein, und das schrecklich starre Gesicht sah aus wie von einer roten, hin und her zuckenden Farbe angestrichen.
Dann griff die Gestalt zu.
Beide Hände schoben sich unter die Achselhöhlen des wehrlosen Mannes.
Er litt noch immer unter den Folgen seines Sturzes, bei dem er mit dem Hinterkopf aufgeschlagen war, und deshalb war er nicht in der Lage, schnell zu reagieren und die Hände abzuwehren.
Der Zombie hob ihn an.
Wie er das tat, erschreckte Karel. Weil es eben mit dieser Leichtigkeit passierte. Als hätte er nicht das geringste Gewicht. In diesen Augenblicken merkte er, welche Kraft in dieser Gestalt steckte.
Das hatte mit einer normalen und menschlichen Kraft nichts mehr zu tun.
Er wurde vom Boden angehoben.
Der Zombie kniete vor ihm und hatte ihn fest im Griff. Aus dem offenen Kamin zuckten hin und wieder die Spitzen der Feuerzungen hervor, als wollten sie sich schon jetzt den Toten greifen.
Karel Kuzow wurde auf den Kamin zugeschoben. Nicht unbedingt sehr weit, aber er spürte die Hitze. Als heißer Hauch glitt sie an seinem Körper vorbei und auch den Nacken hoch, als wollte sie seine Haare anbrennen.
Kuzow wurde weiter auf den Kamin zu geschoben. Die Öffnung und das Feuer erwarteten ihn.
Plötzlich wurde ihm das so sonnenklar. Als wäre ein Vorhang von seinen Augen weggerissen worden.
Verzweifelt hob er seine Arme. Er versuchte, die Hände um den dürren Hals der Gestalt zu legen. Er wollte ihr auch das Genick brechen, aber dieses Wesen war stärker. Er stieß einmal seinen Kopf vor, und der Schlag prallte gegen die Stirn des Russen.
Wieder funkte es vor seinen Augen auf. Kuzow war benommen.
Er spürte den Hauch der Hitze, der gegen seinen Körper schlug. Die erste Leiche war längst verbrannt. Auf dem Rost war der Platz frei für eine zweite.
Und der lebende Tote hob Karel Kuzow an, um ihn durch die Öffnung in den Kamin zu stoßen…
***
Karina Grischin hatte den Wagen besorgt, mit dem wir unserem Ziel entgegenfuhren, das inmitten der Einsamkeit eines Landes lag, dessen Grenzen kaum zu erfassen waren.
Russland war ein Riesenreich, unüberschaubar, ein Vielvölkerstaat, in dem die Emotionen der Menschen immer wieder hoch kochten und manchmal zu einer zerstörerischen Flut wurden.
Für uns ging es nicht um den Krieg in Tschetschenien, sondern um einen Vorgang, bei dem Karina meine Hilfe brauchte. Er hatte sich auch nicht in einer der größeren Städte abgespielt, sondern auf dem platten Land, in dem es nur verstreut liegende Dörfer gab, und Kiew, die größte Stadt in der Nähe, bereits jenseits der Grenze in der Ukraine lag. Über die Grenze mussten wir nicht. Wir konnten in Russland bleiben, denn dort spielte die höllische Musik.
Gern hatte mich Sir James nicht fliegen lassen. Meine Russland-Fälle waren immer lebensgefährlich gewesen, und ich hätte auch den Tod finden können. Aber wenn Karina Grischin rief, die auch eng mit meinem Freund Wladimir Golenkow zusammenarbeitete, war das etwas anderes. Zudem hatten wir nicht vergessen, wie sehr sie uns in London geholfen hatte, als wir den Vampir Costello gejagt hatten.
Um Vampire ging es in diesem Fall nicht, aber um Geschöpfe, die nicht weniger gefährlich waren.
Russland schien sich zu einem idealen Terrain für Zombies entwickelt zu haben. Schon bei meinem letzten Fall hier hatte ich es mit den lebenden Leichen zu tun gehabt, aber das waren alles Dinge, die nicht mehr existierten. Abgesehen von der geheimnisvollen Bunkerstadt in der Einöde des Riesenlandes.
Karina wusste auch nicht viel. Das Wenige hatte sie von Wladimir Golenkow erfahren. Eigentlich ging es um einen Mann, der Tote aus einem See holte und sie dann noch einmal vernichtete. Er verbrannte sie und jagte ihre Reste durch den Kamin.
Ein fremder Mann hatte davon berichtet. Über seinen Vater war es ihm zu Ohren gekommen. Er selbst hatte es noch nicht gesehen, aber dieser Mann, der aus dem kleinen Dorf stammte und in Moskau für die neue Regierung arbeitete, hatte Golenkow kennen gelernt und ihm davon berichtet.
Er war Wladimir glaubwürdig erschienen, und so war Karina Grischin alarmiert worden, die es sich nicht hatte nehmen lassen, mich an ihre Seite zu holen. Ich war geflogen, und jetzt waren wir wieder einmal unterwegs und konnten die Einsamkeit der russischen Landschaft
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