115 - Die Herrin des Sumpfes
Lippen. Dann wies er mit der Flasche auf Nico. »Ich finde, du solltest wieder an die Arbeit gehen. Du hast heute noch nichts geleistet.«
»Erst esse ich etwas«, sagte Nico.
Joao stieß seine Schwester in die Hütte. »Koch uns irgend etwas. Wir haben Hunger. Außerdem mußt du dafür sorgen, daß Nico bei Kräften bleibt. Schließlich ernährt er uns. Und er bringt dir Bonbons und mir eine Flasche Reisschnaps mit. Er ist es wert, daß er von dir umhegt wird.«
Sie kochte Reis mit Bambussprossen. Nach dem Essen legte sich Joao in die Hängematte, und Nico ging an die Arbeit. Er hockte sich mit seiner großen Blechpfanne ins trübe Wasser, schaufelte schlammigen Sand hinein und wusch ihn.
Mit finsterer Miene dachte er an Joao und dessen Schwester. Eigentlich waren die beiden ein Luxus, den er sich nicht leisten sollte. Solange er das Mädchen und seinen Bruder mit ernährte, würde er sich nie etwas ersparen - und aus seiner triumphalen Rückkehr nach Belém würde nie etwas werden.
Ich sollte mich von ihnen trennen, dachte er.
Aber er fürchtete, daß sich das Joao nicht bieten ließ.
Wenn ich ihm sage, er soll verschwinden, schlägt er mich zusammen, überlegte Nico. Ich hätte die Finger von Saboa lassen sollen.
Oft schon war er zu dieser Erkenntnis gekommen; aber leider zu spät. Es ließ sich nichts mehr rückgängig machen.
Und nun hatte er sich auch noch Kogoras Zorn zugezogen…
Was war denn das?
Nico Vega starrte entsetzt in die Pfanne. In dem Wasser, das sich darin befand, spiegelte sich mit einemmal ein Gesicht, Das Antlitz einer ebenso schönen wie gefährlichen Frau. Schwarzes Haar umrahmte ihre makellosen Züge. Ihre vollen Lippen leuchteten in verführerischem Rot. Sie war um vieles schöner als Saboa, aber sie konnte kein menschliches Wesen sein, denn in ihren großen Augen glomm die Glut der Hölle.
Nico glaubte, den Verstand verloren zu haben.
Hatte er eine Halluzination?
Die schöne Frau lächelte ihn an, aber es war kein freundliches, sondern ein böses, grausames Lächeln, als wüßte sie, daß ihm Schreckliches bevorstünde.
Jetzt verschwamm das Gesicht, rann zitternd auseinander und lief am Pfannenrand aus. Das grauenerregende Antlitz verlor sich, und das trübe Wasser verfärbte sich.
Es wurde rot.
Rot wie Blut!
Nico sprang auf und stieß einen grellen Entsetzensschrei aus, der die anderen Garimpeiros aus ihrer Lethargie riß.
***
Brasilien…
Die Hitze wollte mich erschlagen, als wir ankamen.
Da waren wir also in dem Land, das vierunddreißigmal so groß ist wie die Bundesrepublik, hundertmal so groß wie Österreich und zweihundertmal so groß wie die Schweiz. Und hier sollten wir nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen suchen: nach Rian X. Goddard, Jubilees Vater. Ihre Mutter hatten wir in einer Nervenheilanstalt gefunden. Der Geist der Frau hatte sich verwirrt, als der Dämon Cantacca ihre kleine Tochter nach Coor entführte. Nun waren Jubilee und Ethel Goddard wieder vereint, aber die Mutter wußte noch nicht, daß sie ihr Kind wiederhatte, denn in ihrem Geist war Jubilee immer noch vier Jahre alt. Daß seit jener folgenschweren Entführung, die die Familie Goddard auseinandergerissen hatte, dreizehn Jahre vergangen waren, war Ethel Goddard nicht bewußt; aber es bestand Hoffnung, ihr das allmählich beizubringen.
Unser Freund, der Industrielle Tucker Peckinpah, hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um herauszufinden, wohin es Rian C. Goddard verschlagen hatte.
Gerüchten zufolge hatte Goddard - ein Millionär - alles stehen und liegen lassen und war in die Wildnis gegangen. Es sah so aus, als hätte er alle Brücken hinter sich abgebrochen, als wollte er mit seinem früheren Leben nichts mehr zu tun haben.
Ein entwurzelter Mann… die Tochter von einem Dämon in eine andere Welt entführt, die Frau geisteskrank. Das Schicksal hatte ihn hart geschlagen - und vielleicht gab er seinem Reichtum die Schuld.
Wir hätten ihm helfen können, dieses jahrelange Tief zu überwinden. Jubilee befand sich wieder auf der Erde, und vielleicht schaffte es Mr. Silver mit seiner Heilmagie, Ethel Goddards Geist zu heilen. Die Goddards hätten wieder glücklich sein können. Sie waren in alle Richtungen zerstreut gewesen, doch nun fehlte uns nur noch das Familienoberhaupt, dann waren die Goddards wieder zusammen… nach dreizehn Jahren!
Peckinpah war zu Ohren gekommen, daß Rian X. Goddard im brasilianischen Urwald leben sollte. Die Information war sehr verschwommen gewesen.
Weitere Kostenlose Bücher