115 - Die Herrin des Sumpfes
sich und schüttelte den Kopf. »Ich werde mit dir kein Leben in Armut führen, Nico.«
»Was tust du denn hier?«
»Das ist etwas anderes. Hier haben wir alle die Chance, eines Tages viel Gold zu finden…«
»Mach dir doch nichts vor. Diese Hoffnung kannst du vergessen. Keiner der Garimpeiros wird den Urwald als reicher Mann verlassen. Ich sage dir, ich ahne Schreckliches. Wahrscheinlich wird überhaupt niemand lebend von hier wegkommen, dafür wird Kogora sorgen. Du hast sie nicht lächeln gesehen - aber ich.«
Saboa hob trotzig den Kopf. »Du schaffst es nicht, mir Angst zu machen, Nico. Und ich laufe vor keinem Hirngespinst davon!«
Sie verließ die Hütte, und es dauerte nicht lange, bis Joao Derecca wutschnaubend hereinstürzte. Saboa hatte ihrem Bruder alles erzählt, und der packte Nico Vega und riß ihn zornig hoch.
»Wie ist das? Was hast du vor? Mit meiner Schwester willst du dich verdrücken? Nach Belém willst du sie mitnehmen?«
»Warum nicht? Sie ist nicht dein Eigentum.«
»Doch, das ist sie!« brüllte Joao. »Ich habe sie dir nur geliehen. Ich kann sie dir jederzeit wieder wegnehmen und einem anderen Garimpeiro leihen. Jeder ist mir recht, der bereit ist, meine Bedingungen zu akzeptieren. Ich zertrete dich, du miese Kröte!«
Joao ließ die Fäuste sprechen. Er verprügelte Nico Vega nach allen Regeln der Kunst. Der Alkohol machte ihn noch stärker und wilder. Nico hatte keine Chance gegen ihn. Verzweifelt schlug er zurück, doch für jeden Treffer, den er anbrachte, bekam er mindestens zwei zurück.
Als er auf dem Boden lag und sich nicht mehr wehren konnte, stand Joao schwer keuchend und mit haßerfüllt glänzenden Augen über ihm.
»Von mir aus kannst du gehen, wohin du willst, elender Schwächling, verfluchter Feigling!« sagte Joao Derecca, »Aber Saboa bleibt hier, und du faßt sie mit deinen dreckigen Fingern nicht mehr an, ist das klar? Sie gehört ab sofort Manolo Pelo. Er möchte sie schon lange haben, und er machte mir ein Angebot, das sich sehen lassen kann. Ich hätte es schon längst annehmen sollen.«
Joao wandte sich um und stakste aus der Hütte.
»Manolo!« schrie er.
Ein fetter, bärtiger Garimpeiro richtete sich im Wasser auf.
»Komm her!« rief Joao Derecca. Manolo Pelo verließ das graubraune Wasser mit der Grazie eines Nilpferds.
»Gilt dein Angebot noch?« fragte Joao den Fetten. »Bist du noch an meiner Schwester interessiert?«
Manolo Pelo grinste breit. »Saboa ist zu haben?« fragte er strahlend.
»Wir werden in deiner Hütte wohnen«, sagte Joao.
»Aber ja. Es ist Platz genug.«
Joao packte seine Schwester und stieß sie dem Fetten in die Arme. »Sie gehört dir - solange ich damit einverstanden bin.« Er wandte sich an seine Schwester. »Du wirst ihn zufriedenstellen, sonst setzt es Prügel.«
»Was ist mit Nico?« wollte Manolo Pelo wissen.
»Er hat seine Rechte verwirkt«, antwortete Joao.
Nico Vega lag in seiner Hütte auf dem Boden und regte sich nicht, denn jede Bewegung war mit Schmerzen verbunden. Sogar das Atmen tat ihm weh. Er hoffte, daß ihm Joao, dieser brutale Kerl, nichts gebrochen hatte. Sobald er sich besser fühlte, wollte er aufbrechen, aber das würde wohl nicht vor morgen früh sein. Eine Nacht mußte er noch hier bleiben; eine lange, angsterfüllte Nacht… Aber dann würde er nicht mehr zu halten sein. Ihm war, als hätte er auf einmal das Zweite Gesicht, als könne er Dinge vorhersehen.
Etwas Grauenvolles braute sich über den Köpfen der Garimpeiros zusammen. Nico konnte keinen Grund dafür erkennen. War es, weil sie so rücksichtslos die Natur zerstörten? Oder waren sie in einen Bereich vorgedrungen, wo Kogora sich gestört fühlte? Leider konnte Nico Vega nichts Genaues erkennen. Er glaubte nur eines mit Sicherheit zu wissen: Jene, die blieben, waren des Todes.
Er hatte Saboa dieses Schicksal ersparen wollen, doch wie hatte sie es ihm gedankt? Sie hatte alles ihrem Bruder erzählt, und nun lag er hier auf dem Boden und krümmte sich vor Schmerzen.
Soll euch doch alle der Teufel holen, dachte Nico. Oder seine Braut, die Sumpfhexe Kogora!
***
Durch die schwüle Nacht krochen graue Dämpfe, geschwängert mit schwarzmagischen Kräften. Sie sickerten hinter den Urwaldriesen hervor und krochen auf die kleine Hüttenansammlung zu - unheimliche Todesboten. Sichtbar gewordenes Grauen, Flache Nebelbänke duckten sich auf dem träge dahinfließenden Amazonas. Irgendwo geckerte ein Vogel und flog erschrocken davon, während
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