1152 - Prinzessin Blutleer
zu sein. So konnte der Regen in die oberen Etagen hineinfallen.
Morris zog die rechte Hand wieder aus der Tasche und wies über den Wassergraben hinweg. »Es gibt hier noch eine Besonderheit. Obwohl das Schloss auf feuchtem Grund steht, ist ein Keller vorhanden. Ein großes Verlies mit Gängen und Kammern. Dort hat man wohl früher Menschen gefoltert.«
»Waren Sie schon unten?«
Morris hob die Schultern. »Ich habe nur mal hinuntergeschaut, wenn ich ehrlich bin.«
»Warum nur das?«
Der Händler nagte an seiner Unterlippe. »Eine gute Frage«, antwortete er und sprach im Gegensatz zu sonst ziemlich leise. »Ich… ich«, er lachte verhalten. »Verdammt noch mal, Mr. Conolly, ich habe mich einfach nicht getraut.«
»Was wer der Grund?«
Morris deutete auf seine Brust. »Ein Gefühl. Hier drin. Es störte mich. Mir stellten sich plötzlich die Nackenhaare hoch. Ich… ich… hatte das Gefühl, nicht mehr allein zu sein, obwohl ich in meinem Sichtbereich keinen Menschen sah. Und trotzdem ist es so gewesen. Ich weiß nicht, ob Sie das nachvollziehen können, aber da kam die innere Warnung, und ich dachte auch wieder an die alten Geschichten, die man sich über Glenmore Castle erzählt.«
»Kann ich verstehen«, gab Bill zurück. Er schaute über die geschwungene Steinbrücke hinweg, deren Geländerstäbe aussahen wie bauchige Blumenvasen, und er richtete seinen Blick jetzt auf den Eingang. Er passte nach seiner Meinung nicht zu dem Haus, denn ein solches Entree hätte eher zu einer Burg gehört. Es war eine Bogentür, die weit offen stand.
Schon darüber wunderte sich Bill. Er konnte soeben noch in einen Gang blicken, der normal hoch war. Etwa zwei Meter tief im Innern des Ganges war auch etwas zu sehen. Ein Stück unter der Decke malten sich die rostigen und spitzen Stäbe eines Gitters ab. Dieses Fallgitter schien nur darauf zu warten, nach unten fallen zu können, um mit seinen verdammten Spitzen in die Körper irgendwelcher Eindringlinge fahren zu können, um die Menschen am Boden festzunageln.
Bills Blick veränderte sich, was auch seinem dicht neben ihm stehenden Begleiter nicht verborgen blieb. »Sagen Sie nur, dass Sie das Gitter stört?«
»Kann man so sagen.«
»Mich auch.«
»Sie sind der Fachmann, Mr. Morris. Haben Sie so etwas schon bei all Ihren anderen Burgen erlebt?«
»Nein, wenn ich ehrlich bin. Das noch nicht. Nicht so ein Gitter. Ich kenne es von Schlössern her. Da kann man es schon als normal bezeichnen, aber nicht von einem schlossähnlichen Gebäude. Ich muss sagen, dass ich schon überrascht war, als ich es zum ersten Mal sah.«
»Funktioniert es noch?«
Morris musste lachen. »Diese Frage habe ich erwartet. Ich kann es Ihnen nicht sagen, weil ich es selbst noch nicht ausprobiert habe. Ich denke schon, dass es noch in Betrieb ist. Ich habe bei meiner Besichtigung auch den Seilzug gesehen.«
Bill hatte noch eine Frage. Sie war für ihn wichtig, wie auch die Antwort, die er sich erhoffte. »Haben Sie die Tür dieses Baus geöffnet, Mr. Morris?«
Der Reporter erhielt keine Antwort. Dafür schaute der andere nur betreten zu Boden.
»Also nicht.«
Morris holte tief Luft. »Eben, Mr. Conolly. Das ist das Problem, das ich erst jetzt sehe. Bei meinem letzten Besuch war alles noch normal.«
»Dann muss jemand im Schloss gewesen sein.«
»Oder herausgekommen.«
Bill runzelte die Stirn. »Denken Sie an diese Spukgestalt? Die seltsame Tänzerin?«
»An wen sonst?«
»Okay. Noch eine Frage. Gibt es Licht im Schloss?«
Morris schüttelte den Kopf. »Es gab welches. Da niemand mehr die Rechnung beglich, ist es abgestellt worden.«
Bill gefiel das nicht. Er schaute sich in der Umgebung um, die immer dunkler wurde.
»Haben Sie wenigstens eine Taschenlampe bei sich?«
Morris klopfte gegen seine Jackentaschen. »Sogar zwei, Mr. Conolly. Eine für Sie.« Er holte sie hervor und drückte sie Bill in die Hand sie war sehr leicht.
»Dann wollen wir mal!«, erklärte Bill mit munterer Stimme und sah mit einem Seitenblick, dass Morris nicht so munter war. Er wirkte bedrückt und leicht ängstlich.
Der direkte Weg führte die beiden auf die alte geschwungene Steinbrücke zu. Das Material war vor langer Zeit einmal grau gewesen, doch die vergangenen Jahre hatten auch bei ihm eine Patina hinterlassen. So sahen die Steine aus, als wären sie mit einem grünlichen Bart überzogen worden. Vorhanden war auch noch das alte Kopfsteinpflaster, das unterschiedlich hoch aus dem Boden ragte. Beide
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