1162 - Lukretias Horror-Welt
konnte lächeln - und auch sprechen.
»Hi, Jane…«
Sie hatte die beiden Worte gehört. Nur erhielt ich keine Antwort. Jane schaute mich nur an. Ich sah, wie ihre Blicke meinen Mund suchten.
Warum der Kuss?, fragte ich mich. Was war so besonderes daran? Es gab nur eine Lösung. Auch Jane war geküsst worden und hatte nach dem Kuss die Veränderung erfahren müssen. Demnach sollte ich ebenfalls so werden wie sie und war später nicht mehr als ein Vasall dieser verdammten Lukretia.
Aber noch hatte sie mich nicht geküsst. Es gab eine Distanz zwischen unseren Gesichtern. Hinter Jane hatte sich die Frau mit den silberblonden Haaren aufgebaut. Sie wollte auch jetzt auf Nummer Sicher gehen und zielte deshalb mit der Waffe auf Janes Hinterkopf.
»Ist er nicht dein Freund?«, höhnte Lukretia. »Habt ihr nicht schon miteinander geschlafen? Bestimmt. Was zierst du dich da, ihn zu küssen, verdammt!«
Jane gab ihr keine Antwort. Ihr Sinnen und Trachten war allein auf mich fixiert. Der Blick war nicht normal. Er kam mir glasig und so verändert vor.
Ich gab nicht auf. Auch wenn meine Worte nicht zu verstehen waren. Deshalb sprach ich sie nicht nur an, ich konzentrierte mich auch auf ihre Augen. »Überlege dir genau, was du tust, Jane. Bitte, es kann entscheidend für dich sein!«
Sie schüttelte den Kopf.
Verdammt, da war ein Panzer. Ich hatte gedacht, dass sich mein Kreuz wieder »melden« würde, weil sich Jane so unmittelbar vor mir befand. Das traf nicht zu. Es lag völlig normal auf meiner Brust. Ich erlebte keinen Wärmestoß, aber ich schaute zu, wie Jane Collins langsam den Mund öffnete.
Sie war kussbereit…
Dennoch sah ich mehr. Es war ein normaler Mund mit ebenfalls normalen Lippen, doch was sich da in der Mundhöhle abzeichnete, das war nicht normal. Es bewegte sich dort Rauch oder Qualm. Der veränderte Atem. Wie bei Lukretia.
Ich merkte, wie sich mein Rücken verspannte. Dünnes Eis schien darüber hinwegzufließen. Ich bekam eine Gänsehaut und hauchte noch einmal Janes Namen.
Sie hatte mich verstanden, aber sie schüttelte den Kopf, den sie danach wieder ein wenig senkte.
Durch die Bewegung hatte auch der Atem oder der Rauch freie Bahn bekommen. Er zitterte plötzlich vor ihren Lippen und gab ihnen ein völlig anderes Aussehen.
»Na los, mach schon!«
»Tu es nicht, Jane!« flüsterte ich scharf. »Du bist nicht mehr die Gleiche.«
Ich konnte nicht mehr tun. Mein Bewegungsapparat war einfach noch stark eingeschränkt, und in der folgenden Sekunde erlebte ich, dass meine Worte auf keinen fruchtbaren Boden gefallen waren, denn Jane senkte ihren Kopf noch tiefer.
Es gefiel ihr auch nicht, dass ich mein Gesicht etwas zur Seite gedreht hatte. Sie wollte mich direkt küssen können, und ihr Mund stand noch immer offen.
»Bitte!«
»Jetzt!«, schrie Lukretia.
Und Jane Collins gehorchte!
***
Ich spürte sie! Ich spürte ihre Lippen, die mir vorkamen wie zwei kalte Schläuche. Es war kein wilder Kuss, mehr ein Hauch, und ich hörte zugleich ihr leises Stöhnen. Sie schien selbst gegen ihren Zustand anzukämpfen, aber der Druck wollte sich verstärken. Ich merkte auch, wie dieser Keim des Bösen in meinen Mund eindringen wollte, obwohl ich die Lippen geschlossen hielt.
Oder fast geschlossen, denn ich wollte mir eine andere Möglichkeit offen lassen.
Ich sah nichts mehr. Ich sah nicht einmal mehr Janes Gesicht. Es war zu nahe an dem meinen, doch meine Gedanken hatten sich auf einen Punkt konzentriert und damit auch auf eine bestimmte Abwehr. Wenn mir nichts mehr half, dann dieses.
Deshalb flüsterte ich stockend die Formel, um das Kreuz zu aktivieren. Ich durfte auch keine Rücksicht darauf nehmen, dass es gegen Jane Collins ging. Sie war nicht mehr die Jane, die ich normalerweise kannte. Hier gab es nur mehr eine Hülle.
»Terra pestem tene…«
Ein Schrei! Ein gellender und kreischender Schrei!
Zugleich das Zurückzucken der Gestalt. So heftig und überraschend, dass es auch Lukretia erwischte. Sie erhielt einen Schlag voll in den Leib und musste zurück. Dabei ruderte sie mit den Armen, und Jane bewegte sich weiter. Sie hatte sich längst gedreht. Sie rannte auf die Tür zu und riss die andere Person so heftig mit, dass Lukretia das Gleichgewicht verlor und ausrutschte.
»Neiinnn!«, schrie Jane. Sie sprang über die andere Frau hinweg und hatte Sekunden später schon die Tür aufgerissen. Wie eine Furie stürmte sie nach draußen in die Dunkelheit hinein. Sie entschwand meinen Blicken,
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