1174 - Blut für Ludmilla
der modernen Zeit hatte er sich nicht verflüchtigt, und es waren auch Dinge passiert, die unglaublich klangen: Sie waren nie so recht ans Licht der Öffentlichkeit gelangt, aber die Insider wussten Bescheid.
Oft genug wurde in den finsteren Nächten die Sicherung gegen die Blutsauger aufgebaut, wenn wieder das Gerücht umging, dass sich die Vampire in der Gegend herumtrieben. Da hingen die dicken Knoblauchstauden vor den Fenstern, da wurden die Kinder und Erwachsenen mit Weihwasser besprengt, da fing man an zu beten, da hängte man die Kreuze in die Häuser und an die Türen.
Ivo strich über seine rechte Wange. »Du hast gesagt, dass sie ein Vampir ist?«
»Ja.« Marek nickte. »Sie ist nicht verwest. Sie hat all die Jahre überstanden. Nichts ist mit ihr geschehen. Sie sieht noch immer so aus wie bei ihrem Tod. Sie hat sich begraben lassen, und das geschah nicht ohne Hintergedanken, denn sie wusste, dass irgendwann Menschen erscheinen würden, die sie aus der Erde hervorholten. Das ist eingetreten. Die alte Legende wurde zur Wahrheit.«
Ivo schaute erst die anderen Menschen an, bevor er sich wieder an Frantisek Marek wandte. »He!«, rief er laut. »He, ich frage euch jetzt, meine Freunde. Sieht so ein Vampir aus? So schön? So ebenmäßig? Nein, er lügt. Es ist eine Heilige, und er will sie uns nehmen. Er will uns diese Person einfach nicht gönnen.«
Marek schüttelte den Kopf. Obwohl keiner auf seiner Seite stand, blieb er gelassen. »Nein, ihr habt Unrecht. Sie ist keine Heilige. Ich habe darauf gewartet, dass es so weit kommen würde, wie es jetzt gekommen ist. Sie ist eine Blutsaugerin, und sie wartet darauf, euch alle zu Verdammten zu machen. Wenn sie in einem von euch den Keim gelegt hat, seid ihr verloren. Sie wird sich einen aussuchen und ihn zum Vampir machen. Derjenige, der zum Wiedergänger geworden ist, wird seinen Keim zu den anderen hintragen. Er braucht Blut, um überleben zu können. Er wird weder Freunde noch Verwandte kennen. Er wird in allen nur Opfer sehen. Zubeißen und trinken. Sich am roten Lebenssaft satt trinken. Er wird keinem eine Chance geben, und der Kreis der Verdammten wird täglich größer werden. Das weiß ich genau.«
Frantiseks Worte blieben nicht ohne Wirkung. Die Menschen um ihn herum schauten sich an. Sie überlegten. Sie flüsterten miteinander, und es waren die Frauen, die zunächst misstrauische Blicke bekamen.
Daniel griff ein. Er ballte die rechte Hand zur Faust und stieß den Arm gegen den Himmel. »Hört nicht auf ihn, verdammt! Hört nicht auf diesen alten Idioten. Er will uns das nehmen, was uns groß machen könnte.«
»Du hast Recht, Daniel.«
Vuccu kam vor. Er stieß Ivo Lasic zur Seite. Fast hätte er Marek zu Boden gestoßen. Im letzten Augenblick stoppte er. Er stand so dicht vor Marek, dass der den sauren Atem des Mannes deutlich roch.
»Was willst du noch hier, alter Mann?«
»Ich will euch vor einem schrecklichen Tod bewahren!«
Vuccu lachte nur. Er stieß Marek gegen die Brust, aber Frantisek blieb auf den Beinen.
»Wie willst du das denn schaffen? Willst du sie totküssen?« Er lachte wieder, aber niemand lachte mit, denn die Augen der Zuschauer waren auf Marek gerichtet, der seinen rechten Arm bewegte und die Hand unter die Jacke schob.
Sehr langsam holte er die Waffe hervor, die ihn berühmt gemacht hatte. Es war ein vorn zugespitzter Eichenpfahl. Aufgrund seines Besitzes hatte Marek auch den Kampfnamen der Pfähler bekommen.
»Damit«, sagte er.
Daniel Vuccu starrte das Instrument an. »Damit willst du es tun?«, hauchte er.
Der Pfähler nickte. »Es ist die beste Waffe gegen die Brut.« Er hielt den Pfahl höher, damit ihn auch die anderen Zuschauer sahen. Mit lauter Stimme rief er: »Ihr alle kennt die Geschichten über die verfluchten Blutsauger, und ich sage euch, dass sie stimmen. Es gibt sie. Sie lauern, sie halten sich versteckt. Sie gieren nach Blut und erscheinen immer dann, wenn der Hunger sie antreibt. Sie sind grauenhaft, und sie haben Zeit. So wie Ludmilla, die sich vor langen Jahren begraben ließ. Sie starb nicht, denn sie wusste, dass Menschen wie ihr sie irgendwann erwecken würden. Sie hat sich nicht geirrt. Es ist so gekommen. Noch liegt sie unbeweglich in ihrer Totenkiste, doch es wird nicht lange dauern, dann erhebt sie sich. Getrieben von der Gier nach dem Blut der Menschen, Wehe euch, sage ich jetzt und hier. Wehe euch, wenn es so weit kommt. Ihr werdet alles verlieren. Ihr werdet aussehen wie Menschen, aber
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