1174 - Blut für Ludmilla
waren sie die Bosse, und mit genau diesem Gefühl gingen sie auch wieder zurück.
Der Körper lag noch immer bewegungslos im offenen Sarg. Selbst die Augen waren geschlossen.
Ludmilla sah aus, als würde sie tief und fest schlafen. Sie dachten auch nicht daran, sie zu wecken, das würde noch früh genug geschehen. Zunächst mal waren die Leute an der Reihe, die möglicherweise von den Worten des Pfählers verunsichert waren.
Lasic übernahm das Wort. Er strich seine halblangen dunklen Haare zurück. »He«, sagte er mit lauter Stimme, damit ihn auch jeder hörte. »Was ist los? Will einer von euch das Gleiche wie dieser alte Narr? Denkt er auch so? Wenn ja, dann raus damit. Ich warte gern, ehrlich. Ich will es wissen!«
Er bekam keine Antwort. Seine Blicke trafen fast jeden, der hier stand, aber die Menschen hielten sich zurück. Niemand wollte sich mit Ivo anlegen.
»Ist gut«, sagte er und war zufrieden. »Wir haben es geschafft, Freunde. Es ist alles so eingetreten. Auf unserem alten Friedhof hat tatsächlich die Heilige gelegen. Die alten Schriften haben nicht gelogen. Wir sind durch sie reich geworden, meine Freunde. Ja, so etwas macht uns Menschen reich. Wir werden sie mit in den Ort nehmen und ihr einen gebührenden Platz aussuchen, an dem sie für alle Zeiten bleiben wird. Machen wir sie zu unserer Schutzheiligen. Was der alte Narr gesagt hat, ist Schwachsinn. Ich weiß es besser. Außerdem ist der Name Marek nicht eben selten. Da kann er uns viel über seine Ahnin erzählen. Jedenfalls werden wir in der Zukunft einen Schutz haben, den uns niemand mehr nehmen kann.« Er nickte allen zu. »Oder seid ihr anderer Meinung?«
Keiner der Zuhörer widersprach. Ivo und Daniel waren zufrieden. Zu viert hatten sie das Grab ausgehoben. Jetzt winkte Ivo die beiden anderen Helfer zu sich, die zögernd herankamen. Ivo deutete auf die Totenkiste. »Wir werden sie jetzt behutsam anheben und wegtragen. Wir werden dabei die Spitze der Prozession bilden. Alle werden uns folgen, und wir werden den Sarg dort abstellen, wo jeder ihn sehen und verehren kann.«
Auch wenn es unter den Zuhörer Menschen gab, die nicht damit einverstanden waren, so hielten sie sich mit einem Kommentar zurück. Niemand traute sich, etwas zu sagen.
»Packt mit an!«
Die Männer bückten sich. Im Sarg bewegte sich die schöne Heilige nicht. Sie sah noch immer aus wie ein schlafender Mensch. Niemand wäre auf die Idee gekommen, hier einen Vampir vor sich zu haben.
Die Männer hoben an und stemmten die vier Seiten des Sargs auf ihre Schultern. Die Gesichter blieben ausdruckslos, als sie sich in Bewegung setzten. Sie selbst glichen in ihrer Blässe und ihren Bewegungen Personen, die das Gehen erst noch lernen mussten.
Ivo und Daniel schritten an der Spitze. Mit einer Kopfbewegung deutete Lasic den Leuten an, sich in Bewegung zu setzen. Er wollte, dass sie ihnen folgten. Eine Prozession zurück in den Ort, wo alles anders sein würde.
Keiner machte sich aus dem Staub. Die Männer gingen als erste hinter dem Sarg her. Es folgten die Frauen. Einige von ihnen hielten ihre mitgebrachten Kinder fest. Sie wagten kaum, sich anzuschauen, hielten beim Gehen die Köpfe gesenkt und schauten zu Boden.
Über ihnen wurde der Himmel immer wieder durch das Wetterleuchten erhellt. Donner grollte, war aber immer noch recht weit entfernt. Protest wurde nicht erhoben, auch wenn nicht alle mit den neuen Verhältnissen einverstanden waren.
Nur die Geräusche der Schritte waren zu hören, als die Prozession über den alten Friedhof ging.
Dass die meisten Wege zugewachsen waren, störte sie nicht, denn sie kannten es nicht anders. Bald würden die ersten Regentropfen fallen. Die Luft war noch schwüler geworden, es gab jetzt keinen Wind mehr.
Sie gingen weiter.
Vier Männer trugen auf ihren Schultern den schaukelnden Sarg, in dem die »Heilige« lag. Niemand hatte bisher gesehen, dass sich die Gestalt der schönen Frau bewegt hätte.
Auch jetzt konnte keiner in den Sarg hineinschauen. Wäre es so gewesen und wäre das Licht heller gewesen, dann hätte er die Veränderung schon bemerkt.
So aber schaute niemand zu, wie die Gestalt im Sarg langsam die Augen öffnete. Genau in dem Augenblick als vom Himmel ein Blitz nach unten fuhr, sich in den Pupillen abzeichnete und ihnen einen noch kälteren Ausdruck gab.
Ludmilla war wach, und es würde nicht mehr lange dauern, bis die Gier nach Blut sie antrieb, auf die Suche nach Opfern zu gehen…
***
Ein Mensch war auf dem
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