1178 - Lisas Totenruf
kontrollieren sollen.
Stattdessen taumelte ich zwei, drei Schritte nach vorn, bis meine Knie nachgaben und ich zusammenbrach…
***
Suko hatte noch eine Weile vor der Öffnung gehockt und überlegt, ob er seinem Freund John Sinclair nicht in dieses Tunnelsystem hinein folgen sollte.
Er hätte es getan, wenn da nicht ein gewisser Burt Goldman gewesen wäre, der ohne Schutz nicht über den düsteren Friedhof geschickt werden konnte. Wie leicht konnte er dabei in einen Hinterhalt der Blonden geraten. Sie war der ideale Lockvogel. Da hatten sich zwei gesucht und gefunden.
Nach einer Weile richtete sich Suko wieder auf. Während er sich noch bewegte, keimte das Misstrauen in ihm hoch, denn er hatte in den letzten Minuten nichts mehr von Goldman gehört. Keine Ansprache und auch keine Atemzüge.
Er drehte sich um.
Die steife Haltung des Mannes fiel ihm sofort auf. Auch Suko hielt die eingeschaltete Leuchte in der Hand, doch er brauchte sie nicht hochzunehmen, denn auch so sah er, was passiert war.
Sie hatten Besuch bekommen.
Lisa war da!
Und sie hatte die Waffe. Sehr eng stand sie hinter Goldman. Mit dem linken Arm hielt sie seine Brust umschlungen. Den rechten hatte sie angewinkelt und drückte ihm die Mündung der Waffe gegen die Wangen.
»Ich schieße!«, flüsterte sie. »Ich töte ihn!«
»Ja, ich weiß.«
»Dann leg deine Waffe weg!«
»Ist gut.«
»Aber bewege dich vorsichtig!«
»Alles klar. Ich kenne die Regeln.« Suko ließ Goldman nicht aus den Augen. Der Mann hatte Angst.
Er zitterte am gesamten Körper. Trotzdem stand er bewegungslos auf der Stelle. Er hielt sogar noch seine Schrotflinte fest, nur wiesen die beiden Läufe jetzt zu Boden.
Suko sah die Blonde zum ersten Mal. Sie hatte beinahe ein noch kindliches Gesicht, in dem sich nichts regte. Das rote Kleid sah aus wie ein dunkles Tuch. Sie ließ den Inspektor nicht aus den Augen, der sich langsam bewegte und seine Beretta mit spitzen Fingern hervorholte. Er wollte nicht, dass Lisa durchdrehte. In der leicht gebückten Haltung legte er die Waffe auf den Boden und erhob sich dann.
»Tritt sie noch ein Stück zur Seite!«, befahl sie wie ein Profi.
»Okay, wie du willst.«
»Ich habe hier das Sagen.«
»Weiß ich.«
»Sehr gut für dich!«
»Was soll ich noch tun?«
»Nichts.«
»Einverstanden.«
Lisa lachte an Goldmans Gesicht vorbei. »Warum solltest du dich vor deinem Tod noch anstrengen?«
»Du willst mich töten?«
»Ja! Ist das so überraschend für dich? Ich werde dich töten, und der Ghoul übernimmt den anderen.«
»Ihr versteht euch, wie?«
»Ja, wir haben uns gefunden. Wir sind Partner geworden. Ich habe die Menschen auf diesen Friedhof locken können. Sie sind meinem Totenruf gefolgt. Es war einfach wunderbar, kann ich dir sagen. Sie waren völlig ahnungslos.«
»Ja, alte Menschen, die sich nicht wehren können.«
»Na und? Fleisch ist Fleisch. Mein Freund hat sie alle genommen, und ich habe hier eine Heimat gefunden. Er hat mich gerettet. Ich musste ihm dankbar sein. Diese beiden Killer haben mich elendig verrecken lassen wollen. Ich wurde in das Totenhaus hier eingesperrt, ohne eine Chance zur Befreiung zu bekommen. Aber die wussten nicht, wer hier tatsächlich lebte. Er wollte auch mich töten, aber ich konnte ihn davon überzeugen, dass ich lebendig viel wertvoller für ihn war. Oder nicht? Wie wäre es dir ergangen, wenn du mich plötzlich auf dem Friedhof hier vor dir gesehen hättest? Hättest du Verdacht geschöpft?«
»Kaum.«
»Eben, und so ist es den anderen Menschen auch ergangen. Sie schöpften keinen Verdacht. Ich konnte sie niederschlagen und sie meinem Freund übergeben.«
»Dann bist du eine verdammte Mörderin. Du bist nicht besser als die beiden Killer.«
»Das habe ich nie behauptet. Ich wollte nur meine Rache. Ich habe auch herausgefunden, wer sie sind und sie hergelockt. Sie liefen mir direkt in die Falle.«
»Das glaube ich dir fest. Aber du hättest nicht einfach so verschwinden sollen.«
»Warum nicht?«
»Sofia hat sich Sorgen gemacht.«
»Vergiss sie!«, zischte Lisa den Inspektor an. »Vergiss sie ganz schnell. Ich führe mein eigenes Leben und brauche Sofias Hilfe nicht mehr. Sie haben mich groß gezogen, aber sie haben mich nie richtig gekannt. Sie wussten nicht, was in mir steckte.«
»Was war es denn?«, fragte Suko.
»Es war die Sehnsucht nach dem anderen. Nach der Welt der Toten. Ich kann dir keine genaue Erklärung geben, aber ich fühlte mich bei den Toten immer wohl.
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