1180 - Der Drachenschatz
hatte ihn für einige Wochen nach Schottland verschlagen, wo er als Monteur mithalf, eine große Industrieanlage aufzubauen.
Seine Mutter arbeitete in Fishguard im Büro einer Fischfabrik. Sie würde erst am Abend zurückkehren, brummig und muffig sein wie immer, wenn sie allein war, um irgendwann zur Flasche zu greifen und Gin zu trinken, bevor sie zu Bett ging.
Es war immer der gleiche Rhythmus, und Leon hasste ihn. Nichts los, kein Fun, erst recht keine Action. Alles blieb irgendwie hängen, war weder Fisch noch Fleisch, und das ärgerte ihn. Deshalb wollte er aus Trefasser so schnell wie möglich weg. Es war ein Kaff, das man schnell hinter sich lassen musste, aber nicht zu schnell, sonst tauchte es im Rückspiegel nicht mal auf.
Leon hatte einen Dünenhügel erklommen und war auf dessen Kamm stehen geblieben. Es war einer der höchsten Punkte an der Küste. Der Blick von hier aus gefiel ihm immer wieder. Er sah nicht nur den Ort unter sich liegen, sondern auch den alten Leuchtturm und diesen trotzigen Bau der leeren Jugendherberge, die erst renoviert werden musste, um wieder mit Leben erfüllt zu werden.
Das Meer lag da wie immer. Es bewegte sich. Es erzeugte Wellen. Gischt schäumte an den Klippen hoch. Eine breite wellige Decke rollte an den Strand, und manchmal sah das Wasser aus, als bestünde es aus verschieden übereinander liegenden Tüchern.
Leon drehte sich vom Meer hin weg und schaute auf seinen Wohnort. Es waren wirklich nicht viele Häuser, und die Straße, deren Belag bei Sturm oft mit Sand bedeckt war, verlor sich jenseits des Ortes in der Natur.
Früher war der Ort noch kleiner gewesen. Das hatte sich geändert, seit eine Anzahl von Städtern hier ihre Ferienhäuser gebaut hatten. So hatte der Ort ein anderes Gesicht bekommen.
In der Nähe wuchsen auch die kargen Sträucher, mit denen der Wind spielte. Vögel segelten im Wind. Es war eigentlich wie immer, bis auf die leise Stimme hinter seinem Rücken.
»He, Leon…«
Der Junge blieb stehen, und zugleich rann es ihm kalt den Rücken hinab, als hätten zahlreiche Spinnen mit ihren dünnen Beinen ihren Weg gefunden.
Die Stimme kannte er. Ein freudiger Schreck durchzuckte ihn, und er drehte sich langsam um.
Vor ihm stand Joel!
»Du?« Mehr brachte Leon nicht hervor.
»Klar. Ich.«
Leon wischte über seine Augen, als könnte er es noch immer nicht glauben. »Aber wo kommst du her? Ich… ich… habe gedacht, dass du… dass…«
»Freust du dich nicht?«
»Schon…«
»Warum sprichst du nicht weiter?«
Leon zuckte mit den Schultern. »Das kann ich dir auch nicht sagen. Es hat mich zu sehr überrascht.«
»Das glaube ich dir gern. Du hast auch viel erlebt.« Er kam näher. »Aber jetzt bin ich hier.«
»Das sehe ich.«
»Und du hast mich am Hals!«
Leon sagte nichts. Er wusste nicht genau, ob ihm die letzten Worte gefallen hatten. Da war etwas Endgültiges in ihnen gewesen. Als er in Joels Gesicht schaute, sah er dort wieder das ihm so bekannte Lächeln.
»Bist du überrascht?«
»Ja, das bin ich.« Er räusperte sich. »Ich weiß auch nicht, was das bedeuten soll und…«
»Keine Sorge, das sage ich dir. Ich denke, Leon, dass du mich beschützen musst.«
Er dachte nach und runzelte die Stirn. »Beschützen? Vor wem soll ich dich beschützen?«
»Vor allem«, erwiderte Joel schlicht. »Du musst nur daran denken, dass ich mich in einer anderen Zeit befinde. Hier kenne ich mich nicht so aus. Was für dich völlig normal ist, das ist für mich einfach anders. Ich habe…«
Leon ließ ihn nicht ausreden. »Wie kann ich dich beschützen? Ich bin kein Kämpfer wie in den Büchern. Ich bin vierzehn Jahre. Du bist wahrscheinlich nicht älter. Man wird uns einfach…«
»Wir müssen schlau sein, Leon!«
»Ah ja, schlau!« Leons Mund klappte zu. Immer wieder musste er sich sagen, dass es die Wahrheit war, die er hier erlebte.
»Vor wem soll ich dich beschützen, Joel?«
»Vor den Feinden.«
Die Antwort sorgte bei Leon für einen Lachanfall. »Du bist gut«, sagte er wenig später. »Du bist wirklich gut. Feinde sehe ich keine. Hier ist alles leer.«
»Aber sie sind da. Hast du denn die Zeitschleife vergessen, in der auch ich mich befinde? Darin halten sich meine Feinde auch auf. Es gibt wirklich Menschen, die mich alles andere als lieben. Damit müssen wir beide uns schon abfinden.«
»Weiß nicht«, murmelte Leon. »Kannst du denn nicht zurück in deine Zeit? Hier ist alles anders und…«
»Ich schaffe es nicht aus eigener
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