1180 - Der Drachenschatz
Dunkeln begegnen wollte. Ein finsterer Kerl mit einem wuchernden Bart, der jetzt nass wie Fell an seinem Gesicht hing.
Er zielte auf Joels Rücken!
Leon, der alles beobachtete, konnte nicht eingreifen. Am liebsten hätte er geschrieen und die Zeitschleife verlassen, was ihm nicht möglich war. Er hing fest. Er war Zuschauer, und er würde mit ansehen müssen, wie sich der Pfeil in den Rücken seines neuen Freundes bohrte und auch sicherlich das Herz erwischte.
»Joel! Pass auf!«
Er hörte ihn nicht. Aber er schien einen Sinn für Gefahr zu haben, denn urplötzlich drehte er sich herum.
Was dann passierte, lief so schnell ab, dass Leon es kaum mitbekam, obwohl er sich auf das Geschehen konzentriert hatte.
Der Pfeil zischte los.
Joel bückte sich traumhaft schnell. So rasch, dass er nicht getroffen wurde. Dicht über seinem Kopf glitt der Pfeil hinweg und schlug irgendwo in den Sand.
Zu einem zweiten Schuss wollte es der Schwarzbärtige nicht kommen lassen. Blitzschnell huschte er weg und war kurz danach zwischen den Dünen verschwunden.
Joel nahm die Verfolgung nicht auf. Er hatte nicht mal seine Waffe gezogen, aber sein Gesichtsausdruck zeigte Leon, dass er sich jetzt darauf einstellte, von Gefahren umgeben zu sein. Nach einem letzten Rundblick machte er sich auf den Weg und war kurz danach verschwunden.
Zurück blieb Leon.
Allein.
Er ging über den Strand.
Er spürte den Sand an seinen Füßen. Er nahm den weichen Widerstand wahr, als er sich auf die Schatzkiste zubewegte. Er wusste, dass er nicht in der Lage sein würde, auch nur ein Goldstück an sich zu nehmen, obwohl der Schatz zum Greifen nahe vor ihm lag.
Trotzdem bückte er sich. Einmal nur so tun, als würde er in einem Goldschatz wühlen. Zwar kein Gewicht zwischen den Fingern spüren, aber vielleicht das Gefühl haben.
Es klappte nicht.
Aber es passierte etwas anderes. Er sah, wie die Münzen anfingen zu brennen oder zu glühen, und plötzlich leuchteten an all den Flächen, die die Fratzen aufwiesen, entsprechende Gesichter auf.
Leon zuckte zurück, obwohl er sich nicht in unmittelbarer Gefahr befand.
Doch als Gefangener der Zeitschleife erwischte ihn dieses Grauen voll.
Er rannte so schnell wie möglich weg. Egal, wohin ihn auch der Weg führte, er wollte nicht mehr in die Nähe dieses verfluchten Goldes gelangen.
Und wieder spürte Leon den Druck. Ein plötzlicher Stoß, der ihn im Laufen durchschüttelte. Der Atem blieb ihm weg, er stolperte, bekam Schwung nach vorn und fiel hin.
Er landete im Sand. Aber diesmal war es anders, obwohl es so gleich wirkte.
Leon spürte es genau.
Die Zeitschleife hatte ihn entlassen und ihn wieder in die normale Gegenwart geschickt…
***
Ich schlug zu!
Von der Seite her und auch von vorn. Es war die einzige Reaktion gewesen, die noch etwas brachte.
Noah Flynn hatte sonst keine Chance, der verdammten Klinge zu entgehen.
Ich erwischte ihn an der Schulter. Die Kraft schleuderte ihn zu Boden, und das im rechten Augenblick, denn die sicher geführte Klinge stach ins Leere.
Wie ein schmaler Schatten war sie über den Rand des Sofas hinweggehuscht. Mich traf sie nicht, denn ich war zu weit entfernt.
Flynn lag auf dem Boden. Er kroch weg, ohne zu sehen, was sich in seiner Nähe abspielte. Praktisch aus dem Nichts war eine Gestalt erschienen, die Noah hatte heimtückisch ermorden wollen. Ich sah mich plötzlich einem Mann gegenüber, der verdammt wild aussah. In seinem Gesicht wucherte ein dunkler Bart. Ebenso schwarz wie die Haare. Seine Augen funkelten wütend. Er konnte es wohl nicht fassen, dass er keinen Erfolg gehabt hatte. Er drehte den Kopf nach links, auch wieder nach rechts, dann sah er mich.
Ich hatte meine Beretta gezogen und zielte auf ihn. »Weg mit dem Degen!«, befahl ich.
Er dachte nicht daran. Nicht ich hatte ihn überrascht, sondern mehr die Umgebung. Er hatte seine Stichwaffe sinken lassen und blickte sich erstaunt um.
Da mir im Moment keine Gefahr von ihm drohte, ließ ich ihn in Ruhe und konzentrierte mich auf sein Aussehen. Der Kleidung nach stammte er nicht aus meiner Zeit. Enge Hosen, Stiefel, ein breiter Gürtel, ein dunkles Hemd mit weiten, ausgebeulten Ärmeln und einen kurzen Umhang, mehr ein Cape.
Noah hatte von einer zweiten Person gesprochen. Die bekam ich nicht zu Gesicht. Egal, vielleicht hatte sich der gute Flynn auch geirrt. Die eine reichte mir zudem.
Ein wilder Kämpfer. Einer aus dem Mittelalter. Und ich glaubte nicht daran, dass er sich verkleidet hatte.
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