1182 - Das Element der KÀlte
dauerte der Kampf Stunden, und langsam geriet der Metamorpher an den Rand der geistigen und seelischen Erschöpfung. Er stellte fest, daß in diesem Fall das Verlassen des Körpers seinen Geist zerstören würde.
Vishna, hilf mir! flehte er. Ich vergehe!
Langsam trübte sich sein Bewußtsein, und er geriet in einen Zustand der Dämmerung, in dem ihm alle Stationen der Vergangenheit noch einmal vor Augen traten. Der Eintritt in das Mutantenkorps, die Ausflüge in die Unendlichkeit, das Aufgehen in ES, die Rückkehr zur Erde. Viele Bilder waren es, und sie überfluteten seinen Verstand und erstickten den Lebensfunken immer mehr.
Panische Angst befiel Ellert, und er mobilisierte unbewußt die letzten Kräfte, die sein Bewußtsein besaß. Der Lebensfunke flackerte unruhig, aber er erlosch noch nicht.
Plötzlich war da ein fürchterliches Gebrüll. Es drang an seine Ohren und betäubte ihn fast. Er stellte fest, daß es sein eigenes Schreien war, daß um ihn herum wieder Luft war. Gleichzeitig ließ das Zerren nach, tauchte vor seinen Augen eine Bilderzone auf. Eine Zeitsohle. Sie waren noch nicht am unteren Ende des Schachtes angelangt. „... ist zu uns unterwegs", hörte er Vishna sagen. „Stein Nachtlicht kommt uns entgegen!"
Wieder zog eine Zeitsohle an ihnen vorbei, sanken sie durch ihren Bereich hindurch. Jetzt glaubte Ellert, das grüne Funkeln des Staubgewands zu sehen, mit dem alle Ordensmänner bekleidet waren. Es wurde immer intensiver und kam näher. Es erreichte Ellert und verharrte dort. Mitten in der Kapuze gähnte ein pechschwarzes Loch, die Kapuzenöffnung. Hinter ihr erblickte der Metamorpher weiße Funken. Wie Sterne blitzten sie ihn an. „Stein Nachtlicht!" stieß Ellert erleichtert hervor. „Was ist geschehen?"
„Eine Überlagerung, mein Gebieter!" sagte der Ordensmann. „Es ist mir furchtbar peinlich, aber ich konnte es nicht verhindern. Es blieb nur die Möglichkeit, den Schacht dadurch zu stabilisieren, daß ich euch entgegenkam!"
Sie stellten fest, daß sie wieder abwärts glitten. Ellerts Füße berührten festen Boden. Sie waren auf dem Grund des Schachtes angekommen, der sich jenseits von Raum und Zeit befand. Sie hielten sich in einem Miniaturuniversum auf, im absoluten Nichts vor dem Urknall. „Ich habe euch hier erwartet, an dem Grund allen Entstehens", begrüßte der Ordensmann sie. Wie immer klang seine Stimme nach heiserem Geflüster, und sein zweieinhalb Meter hoher, pfahldünner Körper bewegte sich dabei bedächtig. „Es ist mir unerklärlich, wie es geschehen konnte, daß der Schacht außer Kontrolle geriet!"
„Es beeinträchtigt unser Vorhaben!" stellte Vishna fest. „Können wir es verschieben?"
„Beim Urknall, nein!" eröffnete Stein Nachtlicht. „Es ist nicht möglich. Der Prozeß beginnt bereits!"
„Was sagt das Virenimperium zu dem Vorgang, der mich beinahe die Existenz kostete? Woher kam die Kälte?" fragte Ellert.
Der Ordensmann, der über seine Kutte ständig mit dem Virenimperium in Verbindung stand, hielt in seinen Bewegungen inne. Wie eine Kristallsäule ragte er vor Ellert auf. „Das Virenimperium hat es als einen Einbruch aus der Zukunft erkannt, aus der nahen Zukunft. Etwas gibt es dort, und es ist gefährlich. Es verbreitet Kälte, die stärker ist als das, was wir in unserem Universum den absoluten Nullpunkt nennen!"
„Es kann alles zerstören!" stieß Ellert hervor. Er war betroffen. „Es hat nach uns gegriffen!"
Stein Nachtlicht schwieg eine Weile. Nur die weißen Funken sprühten ohne Unterlaß aus seiner Kapuze. „Es hat euch beinahe getötet. Zumindest dich, mein Gebieter. Du warst nahe daran, aus diesem Universum zu verschwinden. Beim Urknall, ich hätte nicht gewußt, wie ich dich hätte zurückholen können!"
Die Stimme Ellerts klang bewegt, als er sagte: „Du hast mir das Leben gerettet, Freund. Ich weiß, daß ihr mich als euren Anführer und Gebieter anerkennt, aber ich will nicht, daß du mich weiter so nennst. Sage ab sofort Freund zu mir!"
Etwas wie ein belustigtes Lachen kam auf. Vishna stieß es aus. Sie schob sich zwischen den Metamorpher und den Ordensmann. „Sag es ihm endlich, Virenmann!" forderte sie ihn auf.
Stein Nachtlicht bewegte sich zeitlupenhaft auf Ellert zu, bis sich die beiden Virenwesen dicht gegenüberstanden. „Freund!" murmelte der Ordensmann. „Sei mir nicht böse. Die Zeit für die Auflösung des Virenordens ist gekommen. Die virotronische Vernetzung steht, und die Sturmreiter funktionieren."
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