1182 - Halloween Man
trinken und noch eine kleine Mahlzeit zu sich nehmen. In seiner linken Außentasche an der Hose hatte er eine dünne Salami stecken, die er mit langsamen Bissen aß, während er in den Kaffeebecher starrte.
Seine Fahrgäste verhielten sich ruhig. Ungewöhnlich ruhig. Normalerweise machten die jungen Leute immer viel Action. Hier war das anders. Sie hielten sich zurück. Sie waren so stumm, so in sich gekehrt, in die eigenen Gedanken versunken. Darüber wunderte er sich schon, sprach seine Fahrgäste jedoch nicht darauf an. Wenn sie mal etwas sagten, dann im Flüsterton.
Wieder schaute der Fahrer nach vorn. Er hieß Frank Evans und übte seinen Beruf mit großer Leidenschaft aus. Ihm war es egal, wann er auf die Straße musste. Als alter Single hatte er für niemand zu sorgen, und so konnte er sich voll und ganz seinem Job widmen.
Er gähnte.
Irgendwie war er trotz des Kaffees müde. Ihm war auch langweilig, worüber er sich selbst wunderte.
Ansonsten ging bei den Fahrten die Post ab, doch hier herrschte eine Stimmung, die er kaum einschätzen konnte.
Als trübe wollte er sie nicht ansehen. Eher als angespannt. Als wartete jeder darauf, dass bald etwas geschah und die Bombe irgendwie platzte.
Aber die Hoffnung erfüllte sich nicht. Die Minuten vergingen im Strom der Zeit. Der Nebel umwallte den Bus in einem lautlosen, gespenstischen Reigen. Er verdichtete sich sogar, denn aus dem Boden und den Feldern schienen immer neue Wolken zu steigen, um in die anderen hineinzudringen.
Acht Fahrgäste fuhren mit ihm. Alle noch jung. Zwischen 20 und 25. Sie wollten auf Horror-Tour gehen und den Halloween Man suchen. Aber besonders nervenstark schienen sie nicht zu sein, denn sie hingen oder saßen in den Sitzen wie Wachsfiguren.
»He, was habt ihr? Was ist los mit euch, ihr schwachen Gesellen? War die Fahrt zu anstrengend?«
Nicht mal ein Lachen erhielt er als Antwort.
»Dann eben nicht.«
Er trank auch den letzten Rest Kaffee, bis ihm einfiel, dass der junge Mann schon mehr als zehn Minuten verschwunden war. Trotz des Nebels hätte er ihn beim Verlassen des Kiosks sehen müssen.
Schließlich musste er wieder zurück zum Bus.
Er war noch drin.
Frank Evans drehte sich um. Er warf einen Blick über die Sitze und rief dann alle an. »He, was ist mit eurem Kumpel? Kann es sein, dass er es am Magen hat? Oder ist er eingeschlafen?«
»Wissen wir nicht!«, lautete die Antwort aus dem Halbdunkel.
»Lange warte ich nicht mehr. Vielleicht könnte mal einer von euch so freundlich sein und nachschauen, was mit ihm abgeht?«
Vielleicht hatten die Fahrgäste auch daran gedacht, aber niemand hatte sich getraut, den Vorschlag zu machen. Bis sich auf der letzten Sitzbank eine junge Frau bewegte und aufstand.
»Ich schaue mal nach.«
»Was? Du, Claudia?«
»Klar.«
»Eine mutige Lady!«, rief der Fahrer. »Na, wie finde ich das denn? Soll ich mitgehen?«
»Nein, das schaffe ich allein. Außerdem ist Mirco mein Freund.«
»Dann gehört sich das auch.«
Claudia Black ging längs durch den Bus, um dort auszusteigen, wo auch Mirco das Fahrzeug verlassen hatte. Bevor sie die Tür öffnen konnte, sprach der Fahrer sie an.
»Du bist verdammt mutig, Mädchen. Die anderen scheinen zu feige zu sein.«
»Sie sind es doch auch - oder?«
Evans zuckte mit den Schultern. »Im Prinzip ist dein Freund nicht mein Problem. Ihr wolltet die Fahrt machen, und ihr habt nicht auf die Warnungen gehört.«
»Was meinen Sie denn damit?«
»Der Halloween Man.«
»Ist Legende.«
»Meinst du?«
Claudia schüttelte den Kopf. Sie wurde allmählich ärgerlich. »Was soll das alles? Wir sind gefahren, um unseren Spaß zu haben. Ein bisschen Gänsehaut und so.«
»Wie vor fünfzig Jahren.«
»Ich weiß, dass es ihn mal gegeben hat.« Claudia nickte. »Aber das ist fünfzig Jahre her, wie Sie selbst sagten. Inzwischen wird er gestorben sein.«
»Weiß man das?«
Claudia gefiel die Antwort nicht. Sie hatte auch keine Lust mehr, zu diskutieren und öffnete endlich die Tür, um den Bus zu verlassen. Augenblicklich umfing sie die andere Umgebung. Die Kälte, der Nebel und auch die Dunkelheit. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass auf diesem einsamen Platz keine einzige Laterne leuchtete. Den einzigen Lichtfleck gab die Lampe vorn am Kiosk ab, und dieser Schein sah zudem noch sehr verschwommen aus. Als sie die Bustür hinter sich geschlossen hatte, überkam sie das Gefühl, in der Fremde zu stehen. Sie hatte die Sicherheit des Busses verlassen und befand
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