Der Verrat
1
Magie in der Burnt House Lane
G leich«, behauptete Rachel, »gleich wird etwas Schreckliches passieren!«
Um diese Uhrzeit war die Gegend um die Burnt House Lane völlig menschenleer. Die Risse im Pflaster, die Mae tagsüber gar nicht bemerkt hätte, schienen jetzt wie dunkle Narben im Zement, die schartige Pfade in eine weitere, noch dunklere Sackgasse zeichneten. Sie sahen in die Gasse und kamen wortlos überein, ganz schnell zu laufen. Mae ging voraus.
»Komm schon, das ist einAbenteuer!«
»Ich glaube, genau das habe ich gerade gesagt«, beschwerte sich Rachel hinter ihr.
Mae musste sich eingestehen, dass das vielleicht nicht ihre beste Idee gewesen war. Jetzt, wo sie endlich wieder das Haus verlassen durfte, hatte sie einfach etwas Abwechslung gewollt, etwas, was ein wenigAufregung versprach â und eine Party in einem leeren Lagerhaus an der Burnt House Lane schien dafür perfekt zu sein.
Ãber ihnen blinzelte eine StraÃenlaterne böse mit ihrem gelbenAuge, dann wurden sie von der Nacht verschlungen. Mit einem widerwilligen Knistern ging das Licht flackernd wieder an und die Dunkelheit spuckte sie aus, doch da standen Rachel und Erica bereits dicht hinter Mae. Die Mädchen kauerten sich zusammen.
Rachel schauderte. »Ich glaube, ich war noch nie in so einer schlimmen Lage.«
»Sei nicht albern«, verlangte Mae. »Ich bin schon in weitaus schlimmeren Situationen gewesen als dieser hier.«
Sie zitterte und dachte an das Messer in ihrer schweiÃnassen Hand, den schrecklichenWiderstand, den sie verspürt hatte, als es in Fleisch eingedrungen war. Sie erinnerte sich an das Blut auf ihren Händen.
Rachel und Erica hatten keineAhnung, was letzten Monat vorgefallen war. Sie glaubten immer noch, sie sei mit ihrem armen, irren Bruder aus einer verrückten Laune heraus nach London verschwunden.
Auch ihre Mutter glaubte das, daher hatte Mae zweiWochen Hausarrest bekommen und war vor der Schule vonAnnabel mit demAuto abgeholt worden wie eines der kleinen Kinder, die immer nur von der Schule zumAuto und wieder zurück liefen und es eilig hatten, den einen Käfig gegen den nächsten einzutauschen.
Mae schloss dieAugen. Sie wollte weg von hier, viel mehr als die anderen, und plötzlich verschwanden die flackernden StraÃenlaternen und die kaputte StraÃe. Sie dachte an helle Laternen, die denWald mit goldenem Licht erfüllten, und an einenTanz voller Gefahr, bei dem sie entweder vorAnstrengung oder vor Furcht geschwitzt hatte. Und an schwarzeAugen, die sie ansahen.
Sie hatte Magie gesehen. Und jetzt hatte sie sie verloren.
Doch daran dachte sie jetzt gar nicht. Sie durfte endlich einenAbend hinaus und das wollte sie auch genieÃen. Sie würde sich mit Seb treffen und an etwas anderes wollte sie nicht denken.
Ein Scheppern kam aus der Dunkelheit und dort bewegte sich etwas. Mae erschrak und Erica packte ihrenArm mit fünf scharfen Fingernägeln wie ein verängstigtes kleinesTier.
»Schon gut«, sagte Mae laut, mehr zu sich selbst als zu ihren Freundinnen. Sie war schon unzählige Male nach Einbruch der Dunkelheit in der Burnt House Lane gewesen. Sie hatte noch nieAngst gehabt. Und damit würde sie auch jetzt nicht anfangen, nur weil sie genau wusste, wer sie möglicherweise beobachtete.
Mae ging mit sicheren und gleichmäÃigen Schritten weiter, und soweit sie hören konnte, folgte ihnen nichts und niemand.
»Du musst keineAngst haben«, sagte sie zu Erica. »Da ist nichts.«
Sie erreichten die nächste Gasse und sahen das Lagerhaus, in dem die Party stattfand.Aus den Fenstern erstrahlte bereits gelbliches Licht. Erica atmete auf und Mae grinste.
»Siehst du?Was habe ich dir gesagt?«
»Tut mir leid, dass ich durchgedreht bin«, sagte Erica, die die ganze Zeit keinWort gesagt hatte. Sie war stets der gute Engel an Maes Seite und diejenige, die immer sagte: »Klingt toll!«, während Rachel andererseits stets befürchtete: »Wir sind alle verloren!«.
»Ich weià ja, dass die StraÃe sicher ist. SchlieÃlich treibt sich Jamie hier herum. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Jamie in einer kriminellen Gegend spazieren geht.«
Erica lachte und Rachel zu Maes anderer Seite stimmte mit ein. Mit ihrenAbsätzen überragten sie Mae und im Licht verflog die Furcht schnell.
Doch das Lagerhaus schien mit einem Mal nicht mehr so einladend.
»Jamie hängt hier in der
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