119 - Der Diamantendolch
nächsten Tag zu den Kulthöhlen und Felsbildnissen von Ajanta begeben und ihre Andachten verrichten. Am Abend und in der Nacht konnten sie sich den Umzug ansehen, der um zehn Uhr abends beginnen würde, und an den Festlichkeiten teilnehmen.
Auch Unga und Don Chapman konnten sich unter die Feiernden mischen. Reena wollte in ihrer Nähe bleiben, um im Notfall die in und bei Ajanta versammelten Padmas herbeirufen zu können. „Wie willst du das machen?" fragte Unga. „Um Hilfe schreien?"
Die andern Pilger zogen vorbei, müde, verschwitzt und hungrig. Unga, Don Chapman und Reena standen ein kleines Stück vom Weg entfernt.
„Nein", sagte Reena. „Ich bin ein Padma-Sadhu. Ich besitze übersinnliche Fähigkeiten. Wenn sie auch nicht so stark sind wie die der oberen oder obersten Ränge der Padmas, so kann ich damit doch einen telepathischen Hilferuf abstrahlen. Ich vermag auch leichtere Gegenstände telekinetisch zu transportieren. Es ist mein brennendster Wunsch, meine Fähigkeiten noch weiter zu vervollkommnen und weiterzukommen auf dem Weg der Erkenntnis. Die Kraft des Padma in mir soll noch viel stärker werden."
„Nun gut", meinte Unga, der sich mit Reena auf englisch zu verständigen pflegte. „Dann bleib in unserer Nähe! Ich will mich jetzt zuerst einmal waschen und umziehen. Dann habe ich vor, mir die Feierlichkeiten und den Festzug anzusehen."
„Zimmer im Gasthof und Hotel ,Chandela' sind bestellt. Wir können gleich hingehen."
Unga nickte zustimmend. Er nahm Don Chapman auf den Arm. Solange der Zwergmann sich nicht zu sehr bewegte, würde man ihn für eine Puppe halten.
Unga und Reena folgten den Pilgern und gingen quer über den Festplatz. Indische Musik dudelte schrill aus Verstärkern. Der Klang von Trommeln, Sitars, Flöten, Rasseln und Klappern und die Stimmen der einzelnen Sänger vermischten sich zu einem ohrenbetäubenden Lärm.
Indien war nicht nur der zweitgrößte Filmproduzent der Erde, es gab hier mittlerweile auch eine florierende Schallplattenindustrie. Auf dem Festplatz hatten sich zudem noch eine Menge Musikanten breitgemacht, die mit den Verstärkeranlagen um die Wette lärmten.
In Buden und Ständen wurden leuchtende Stoffe und Gewänder feilgeboten, Halbedelsteine, Holz- - und Messingschnitzereien und eine Menge anderer Dinge. Es gab zwei Basarstraßen. Die Buden auf dem eigentlichen Festplatz waren dem Amüsement gewidmet. Man konnte mit bemalten Stäbchen werfen, und wenn sie zwischen zwei Ringen hängenblieben, gab es einen Preis. Schießbuden fehlten natürlich auch nicht. Ferner gab es zwei Karussells mit Löwen-, Tiger- und Elefantenfiguren.
Das Ganze wirkte exotisch, aber eine Ähnlichkeit mit einem deutschen oder englischen Rummelplatz war nicht zu verkennen. Natürlich gab es auch Nachbildungen von Götterfiguren in Stein oder Bronze zu kaufen, wundertätige Amulette, geweihte Armreifen, Talmischmuck und dergleichen. Unga sah Buden und Zelte mit Fakiren, die auf Nagelbrettern tanzten, glühende Kohlen in den Händen hielten oder scharfgeschliffene Schwerter schluckten. Ein Feuerspucker trat auf, und auf einer erhöhten Plattform vor einem Schauzelt tanzten reichgeschmückte und buntgekleidete Tänzerinnen in den alten Trachten. Es gab Handleser, Wahrsager und Sterndeuter, Schlangenbeschwörer und ein Pantomimentheater, in dem kurze Volksstücke aufgeführt wurden.
Unga betrachtete lächelnd das Treiben um sich herum. Er wurde angestaunt, denn mit dem blaßgelben Gewand und dem Speer in der Hand war der zwei Meter große, fremdartig aussehende Cro Magnon eine Besonderheit.
Unga kümmerte sich nicht um das Aufsehen, das er erregte. Er hatte den Festplatz, der von einer Unzahl bunter Glühbirnen und Neonröhren hell erleuchtet wurde, fast hinter sich gelassen, da sah erden Mann mit dem Tiger. Er stand am Rande des Lichtscheins und betrachtete das bunte Treiben. Zuerst glaubte Unga, das Tier wäre ausgestopft; aber dann bewegte sich das Tier. Es drehte den Kopf in Ungas Richtung und seine Augen funkelten.
„Was ist das?" fragte der Cro Magnon.
Er ging auf den Mann zu, Don Chapman auf dem Arm, den Speer in der Linken. Reena folgte ihm. Der Mann mit dem Tiger war klein, gerade ein Meter fünfundsechzig. Er hatte einen Kinnbart, ein braungebranntes energisch wirkendes Gesicht mit wachen dunklen Augen und er trug Tropenkleidung und ein kurzläufiges Gewehr am Riemen über der rechten Schulter. Es handelte sich ohne Zweifel um einen Amerikaner oder
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