119 - Der Diamantendolch
Knauf in seine Brust. Dann sprach er einen Fluch über dem Dämonentempel, daß niemand ihn mehr je betreten sollte.
Er befreite die schöne Sita und brachte sie an den Hof des Rajah in Ajanta zurück. Dort blieb er noch ein paar Wochen und zechte und aß gewaltig. Dann kam die strahlende Wolke. Wischnu, der Erhalter, rief den Goldenen Fremden, und er entschwand ins Reich der Götter, aus dem er gekommen war.
Unga gab dem Bettler noch ein paar Rupien.
„Das war eine schöne Geschichte", sagte er. „Bist du sicher, daß es sich damals so abgespielt hat, Chandra?"
„So sagt es die Legende", antwortete der fußlose Bettler. „Die Götter mögen dir ein langes und glückliches Leben bescheren, Herr!"
Er nahm die Rupienmünzen aus der Tonschale, versteckte sie unter seinem zerlumpten Dhoti und kroch davon.
Unga schüttelte den Kopf.
„Es ist doch faszinierend, welch ein Netz aus Sagen und Legenden um einen wahren Kern von Tatsachen im Laufe der Jahrhunderte gewoben wird", sagte der Cro Magnon. „Der Goldene Fremde war kein anderer als ich. Ich habe damals mit dem Dämon Ravana gekämpft, aber es ist nicht wahr, daß ich ihm den Kopf abgeschlagen habe. Es hat mich auch keine strahlende Wolke vom Hochland von Dekan hergebracht, sondern ich bin den ganzen weiten Weg mit meinen Füßen gelaufen. Es war die Regenzeit, und ich wurde oft durchnäßt und fror jämmerlich. Zu allem Unglück hatte ich mir auch noch an der Koromandelküste eine Malaria geholt, so daß ich oft Schüttelfröste und hohes Fieber hatte und meine Haut manchmal quittegelb war. Der Beiname ,Der Goldene Fremde' rührte also von dieser Krankheit her. Ich war damals alles andere als ein strahlender Held und pfiff so ziemlich auf dem letzten Loch." Unga lachte und schüttelte wieder den Kopf, als könnte er es nicht glauben. „Die Erde zitterte bestimmt nicht unter meinem Tritt. Wenn etwas zitterte, dann waren es meine Knie, weil ich mich so schwach und elend fühlte. Daß die Sonne in ihrem Lauf angehalten hätte, ist mir nicht aufgefallen. Und daß ich drei Tage und drei Nächte mit Ravana gefochten habe, stimmt auch nicht. In meiner damaligen Verfassung wäre ich nicht einmal fähig gewesen, auch nur fünf Minuten gegen ihn durchzuhalten."
Don Chapman und Reena staunten.
„Du hast aber doch mit Ravana gekämpft und ihn besiegt?" fragte der Zwergmann.
„Ob man das einen Kampf nennen kann, weiß ich nicht", antwortete Unga. „Ich kann euch erzählen, was damals wirklich geschah, damit ihr nach der Legende auch die Wirklichkeit kennenlernt, die weder märchenhaft noch schön gewesen ist. Meine Malaria konnte ich mit einem Kräutersud aus Baumrinde, den ein Guru mir verriet, auskurieren. Daß ich am Hof des Akbar ein paar Wochen gewaltig gegessen und gezecht habe, stimmt. Ich mußte mich damals regenerieren und sehen, daß ich wieder zu Kräften kam."
„Und dann bist du weitergewandert?" wollte Don wissen.
„Allerdings. Ich habe mich bei Nacht und Nebel davongemacht, weil der Rajah und die Bevölkerung von Ajanta unbedingt einen Gott aus mir machen wollten. Ich sollte den ganzen Tag in einer Tempelhöhle sitzen, mir Lobpreisungen anhören und mich mit Weihrauchdunst einnebeln lassen.
Ein solches Leben ist so ziemlich das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann."
„Ich würde gern hören, wie es wirklich war", sagte Reena. „Für heute nacht ist nichts vorgesehen. Suchen wir uns irgendwo einen ruhigen Platz, wo wir uns deine Geschichte anhören können, Unga." „Meinetwegen können wir in den Gasthof ,Chandels' zurückgehen", sagte der Cro Magnon. „Den Festzug habe ich gesehen, und die Feierlichkeiten reizen mich nicht so sehr."
Reena und Don waren einverstanden. Sie gingen von dem hellerleuchteten Festplatz, der jetzt verlassen dalag, ins Dorf und zum Gasthof und Hotel „Chandela". Nur wenige Leute waren dort. Die meisten sahen sich den Umzug an, dessen Lärm man von anderen Ende des Dorfes herüberhallen hörte. Ständig krachten und knatterten Feuerwerkskörper, und ein strahlendes Feuerwerk erhellte den Himmel und ließ die Sterne verblassen.
Die drei begaben sich auf Ungas und Don Chapmans Zimmer. Der Cro Magnon trug den Zwergmann wieder auf dem Arm wie eine Puppe. Er bestellte bei dem Etagenboy Bier für sich und Don Chapman und Fruchtsaft für Reena. Don mußte das Bier aus einem Likörglas trinken, das für ihn ein gewaltiger Humpen war. Das Rauchen hatten er sich längst abgewöhnen müssen. Normale Zigaretten waren
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