1190 - Die stählerne Spinne
von gut und gern dreißig Metern. Der Strang lief in einer rinnenförmigen Vertiefung im Boden.
Wohin er im Hintergrund der Halle verschwand, konnte der Waffenmeister nicht erkennen.
Auch hier gab es Spuren des Zerfalls. Das grelle Licht ließ sie deutlich hervortreten. Wände und Decke des mächtigen Raumes waren flekkig. Hier und da hatte eine der weißblauen Leuchtquellen den Dienst aufgegeben. Die Kanten der Rinne waren mit unzähligen Scharten übersät. Schrott, von der Decke herabgestürzt, lag auf dem Boden verstreut. Die Wesen, die hier lebten, kümmerten sich nicht um die mannigfachen Schäden. Nirgendwo sah Leo Dürk, daß der Versuch einer Reparatur oder auch nur des Aufräumens gemacht wurde.
Der Strang hielt an. Entlang der beiden Wände der Halle öffneten sich Schotte. Ein Schwärm achtbeiniger Geschöpfe, in rostfarbene Raumschutzanzüge gekleidet, kam zum Vorschein. Die Arachniden postierten sich zu beiden Seiten des Strangs. Sie hielten Waffen unbekannter Funktion in den Greif werkzeugen des vordersten Extremitätenpaars. Leo Dürk zählte ihrer insgesamt vierzig. Das Aufheben, das man um seinetwillen machte, stimmte ihn zuversichtlich. In einem hatte Clifton Callamon also doch recht gehabt: Die Fremdwesen empfanden ein hohes Maß an Respekt vor den beiden Terranern.
Das Gespinst lockerte sich. Zwei Arachniden zogen es fort und schleuderten es achtlos beiseite. Eine helle, durchdringende Stimme ertönte in Leos Helmempfänger. „Steh auf! Folge den Kämpfern, die dir vorangehen. Du siehst unsere Waffen.
Unterlasse alle unvorsichtigen Bewegungen. Wir sind berechtigt, dich zu töten, falls wir das für nötig halten."
Leo Dürk ließ sich Zeit zum Aufstehen. „Wo bin ich hier?" fragte er in der Sprache der Armada. „Du bist in Torquantuurs Festung."
„Das besagt mir nichts", knurrte der Waffenmeister. „Seid ihr die Netzparias?"
„So werden wir von der Dekadenz genannt", lautete die Antwort. Leo Dürk konnte nicht erkennen, welches der Fremdwesen zu ihm sprach. Sie sahen alle gleich aus, und er wußte nicht, hinter welchem der vielen Fenster ihrer Raummonturen er die dreieckige Öffnung des Mundes zu suchen hatte. „Arnemar Lenx hat dich vor uns gewarnt, aber er neigt zu Übertreibungen. Du hast von uns nichts zu befürchten, solange du dich kooperativ verhältst."
„Wer ist Arnemar Lenx?" wollte Leo wissen.
Es mußte natürlich der Gharwo sein, der in der Schaltzentrale der stählernen Spinne zu ihnen gesprochen hatte. Von keinem sonst hatten sie eine Warnung empfangen. Aber es interessierte ihn zu erfahren, welche Rolle der unbekannte Warner im verwirrenden Sozialgefüge dieser Zivilisation am Rande des Loolandre spielte. „Arnemar Lenx ist der Häuptling der Dekadenz", wurde ihm geantwortet. Und dann bekam er, in wesentlich ungeduldigerem Tonfall, noch zu hören: „Jetzt ist genug gesprochen. Mach dich auf den Weg!"
*
Zuerst ging es durch eine Schleuse. Es war eine geräumige Anlage, die Leo Dürks Bewachern Gelegenheit bot, sich in sicherer Entfernung von ihm zu halten. Etwa zwanzig von ihnen waren ihm in die Schleusenkammer gefolgt. Trotz der beruhigenden Worte, die der Waffenmeister vor wenigen Minuten zu hören bekommen hatte, schloß er aus dem Gehabe der Arachniden, daß sie hochgradig nervös waren und jede seiner Bewegungen schärf beobachteten. Er tat gut daran, sich vorsichtig zu bewegen und jede ihrer Anweisungen zu befolgen. Es lag ihm nichts daran, von einem übereifrigen, in Panik reagierenden Paria über den Haufen geschossen zu werden. Sein Körper schmerzte noch immer von dem paralysierenden Treffer, den er erhalten hatte. „Die Luft hier ist atembar", sagte eine schrille Stimme in seinem Helmempfänger, als das innere Schleusenschott sich öffnete. „Leg deinen Schutzanzug ab."
Leo Dürk inspizierte die Anzeigen der Meßgeräte. Ein paar davon funktionierten noch. Sie zeigten eine erträgliche Luftzusammensetzung. Es lag ihm zwar nicht daran, sich von seinem SERUN zu trennen, aber auf der anderen Seite war es unklug, die Parias herauszufordern.
Langsam schickte er sich an, die schwere Montur abzustreifen. Die Luft, die ihm entgegenschlug, war warm und feucht und von eigentümlichen Gerüchen erfüllt. Aber sie bereitete ihm keine Beschwerden. Die Arachniden wußten offenbar recht gut, wie die Lungen eines Terraners funktionierten.
Die Parias selbst hatten sich inzwischen ebenfalls ihrer Anzüge entledigt. Von der äußeren Erscheinung her waren
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