12 - Im Auge des Tigers
selbst in Schwierigkeiten. Die Polizisten in Amerika haben sehr viele Autos und sogar Hubschrauber zur Verfügung. Wenn sie erst einmal hinter Ihnen her sind, finden sie Sie früher oder später garantiert. Es gibt nur eine Art, wie Sie sich davor schützen können: indem Sie keine Aufmerksamkeit erregen. Fahren Sie nicht zu schnell, halten Sie sich an die Verkehrsregeln. Wenn Sie das tun, sind Sie sicher. Wenn Sie gegen diese Vorschriften verstoßen, werden Sie erwischt, Waffen hin oder her. Haben Sie das verstanden?«
»Wir haben verstanden«, versicherte Mustafa. »Vielen Dank für Ihre Unterstützung.«
»Wir haben für Sie alle Straßenkarten. Es sind gute Karten von der American Automobile Association. Sie verfügen alle über eine Tarn-Identität?«, fragte Juan, der diese Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte. Die Araber nickten.
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Mustafa warf einen Blick auf seine Freunde, doch die schienen keine weiteren Fragen zu haben – zu sehr brannten sie darauf, mit ihrer Mission voranzukommen. Zufrieden wandte er sich Juan zu. »Danke für Ihre Hilfe, mein Freund.«
Arschlecken, Freund!, dachte Juan, doch er nahm die dar-gebotene Hand. Dann begleitete er seine Besucher zur Vorderseite des Hauses. Schnell war das Gepäck aus den Ge-ländewagen ausgeladen, deren Fahrer sofort aufbrachen.
Sie fuhren noch ein paar Kilometer über die State Route 185
bis nach Radium Springs, wo sie auf die I-25 Richtung Norden überwechselten. Die Ausländer packten ihre Taschen in die Limousinen. Dann versammelten sie sich zum letzten Mal, schüttelten sich die Hände, und manche küssten sich sogar, wie Juan mit Befremden beobachtete. Anschließend teilten sie sich in vier Teams zu je vier Männern auf und stiegen in ihre Mietwagen.
Mustafa machte es sich auf dem Fahrersitz bequem. Er legte seine Zigarettenschachteln auf die Ablage neben sich, stellte die Spiegel richtig ein und schnallte sich an – man hatte ihm gesagt, ohne Gurt zu fahren sei ebenso riskant wie zu schnell zu fahren. In beiden Fällen musste man damit rechnen, von der Polizei angehalten zu werden. Das war das Letzte, was er wollte. Trotz allem, was Juan Beru-higendes darüber gesagt hatte, blieb es für Mustafa ein Risiko, das einzugehen er durchaus nicht geneigt war. Im Vorbeifahren würde wohl kein Cop sie als Araber erkennen, aber von Angesicht zu Angesicht sah die Sache schon anders aus, und Mustafa gab sich keinen Illusionen darüber hin, was die Amerikaner von seinem Volk hielten. Aus diesem Grund waren auch sämtliche Exemplare des heiligen Koran im Kofferraum verstaut worden.
Ihnen stand eine lange Fahrt bevor. Die erste Etappe übernahm er selbst, später würde Abdullah ihn am Steuer ablösen. Es ging nordwärts über die I-25 nach Albuquerque, dann in östlicher Richtung auf der I-40 beinahe bis zum 255
Zielort. Insgesamt mehr als 3000 Kilometer. Er würde anfangen müssen, in Meilen zu rechnen, ermahnte sich Mustafa. Eine Meile gleich 1,6 Kilometer. Mit dieser Konstante musste er jede Zahl multiplizieren – oder das metrische System ganz außer Acht lassen, was sein Auto betraf. Jedenfalls fuhr er in nördlicher Richtung die Route 185 entlang, bis er den Hinweis auf die I-25 nach Norden entdeckte – ein grünes Schild und einen Pfeil. Er lehnte sich in seinem Sitz zurück, fädelte sich in den Verkehr ein und beschleunigte auf 65 Meilen pro Stunde. Dann stellte er den Tempomat des Ford auf diesen Wert ein. Von da an musste er nur noch lenken und all die anderen anonymen Verkehrsteilnehmer im Auge behalten, die wie er und seine Freunde nordwärts unterwegs waren, in Richtung Albuquerque…
Jack wusste nicht, warum das Einschlafen ihm so schwer fiel. Es war nach elf Uhr abends, er hatte wie jeden Abend ferngesehen und sich seine zwei oder drei Drinks genehmigt – heute waren es drei gewesen. Er hätte schläfrig sein müssen, war es auch tatsächlich, aber dennoch konnte er nicht einschlafen. Und er wusste nicht, warum. Als er ein kleiner Junge gewesen war, hatte seine Mom immer gesagt, er solle einfach die Augen zumachen und an etwas Schönes denken. Doch nun, da er kein Kind mehr war, bereitete ihm genau das Probleme: an etwas Schönes zu denken. Er hatte eine neue Welt betreten, in der es nicht allzu viel Schönes gab, an das er hätte denken können. Sein Job bestand darin, Tatsachen und Vermutungen über Menschen nachzugehen, denen er wahrscheinlich niemals begegnen würde, zu versuchen herauszufinden, ob sie
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