12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
versucht: Schläge, Hunger und Durst.“
„Stelle es ihm einmal in ernsten Worten vor, damit er sein Unrecht erkennt!“
„Ich habe ihm ernste und auch liebevolle Reden gehalten. Er sieht mich an, hört mir ruhig zu, schüttelt den Kopf und – schreit weiter.“
„Das ist doch sonderbar. Er versteht dich; er versteht dich ganz gewiß, aber er hat keine Lust, dir den Gefallen zu tun.“
„Ja, ich habe auch sehr oft gehört, daß die Tiere den Menschen verstehen, denn zuweilen soll in ihnen die Seele eines Verstorbenen stecken, die dazu verdammt ist, auf diese Weise ihre Sünden abzubüßen. Der Kerl, welcher in diesem Esel steckt, muß früher taub gewesen sein, stumm aber gewißlich nicht.“
„Du mußt einmal zu erforschen versuchen, zu welchem Stamm er gehört hat. In welcher Sprache redest du zu dem Esel?“
„In der türkischen.“
„Wenn nun die Seele ein Perser, ein Araber oder gar ein Giaur gewesen ist, der das Türkische gar nicht versteht?“
„Allah akbar, das ist wahr! Daran habe ich gar nicht gedacht!“
„Warum schüttelt der Esel stets den Kopf, wenn du zu ihm redest? Sein Geist versteht das Türkische nicht. Sprich in einer anderen Sprache zu ihm!“
„Aber ob ich die Richtige finde? Ich werde meinen Emir bitten. Hadschi Halef Omar hat mir gesagt, daß dieser die Sprachen aller Völker reden kann. Vielleicht entdeckt er, wo der Geist meines Esels früher gelebt hat. Auch Soliman (Salomo) konnte alle Tiere verstehen.“
„Es hat auch andere gegeben, die dies verstanden. Kennst du die Erzählung von dem reichen Mann, dessen Söhne sogar mit dem Stein gesprochen haben?“
„Nein.“
„So werde ich sie euch erzählen! De vachtha beni Israil meru ki dauletlü, mir; du lau wi man, male wi pür, haneki wi ma. Va her du lavi wi va hania khoe parve dikerin, pew tschun, jek debee – – –“
„Halt!“ unterbrach ihn Ifra. „In welcher Sprache redest du?“
„In unserer. Es ist Kurmangdschi.“
„Das verstehe ich nicht. Erzähle doch türkisch!“
„So geht es dir grad wie dem Geist des Esels, der auch nur seine Sprache versteht. Aber wie kann ich eine kurdische Geschichte türkisch erzählen? Sie wird ganz anders klingen!“
„Versuche es nur!“
„Ich will sehen! Also zur Zeit der Kinder Israel gab es einen reichen Mann, welcher starb. Er hinterließ zwei Söhne, viel Reichtum und ein Haus. Als die beiden Söhne ihr Haus teilen wollten, gerieten sie aneinander. Der eine sagte: ‚Es ist mein Haus!‘ Der andere sagte: ‚Es ist mein Haus!‘ Da erhob sich durch den Willen Gottes in der Wand ein Backstein und sagte: ‚Was, schämt ihr euch nicht? Dieses Haus ist weder dein noch sein. Ich, ein Mann, der ein großer König war, war dreihundert Jahre in der Welt groß; darauf starb ich. Dreihundert Jahre lag ich im Grab, verweste und wurde zu Staub. Darauf kam ein Mann und machte mich zum Backstein. Vierzig Jahre war ich ein Haus; darauf zerfiel ich. Dreiundsiebzig Jahre lag ich auf dem Feld; da kam wieder ein Mann: ich wurde wieder zum Backstein und in dieses Haus getan. In diesem Haus befinde ich mich dreihundertdreißig Jahre und weiß nicht, was ich von heute an sein werde. Einstweilen schmerzt mich meine Seele nicht – – – ‘“
Er wurde unterbrochen. Den Esel schien die Erzählung, da er anerkanntermaßen die türkische Sprache nicht verstand, zu langweilen; er tat das Maul auf und ließ einen Doppeltriller erschallen, der nur mit der vereinigten Leistung einer Hornpipe und einer zerbrochenen Tuba verglichen werden konnte. Da drängte sich ein Mann durch die Versammlung und trat in den Flur. Hier bemerkte er mich.
„Emir, ist es wahr, daß du angekommen bist? Ich hörte es erst jetzt, da ich in den Bergen war. Wie freue ich mich! Erlaube, daß ich dich begrüße.“
Es war Selek. Er nahm meine Hand und küßte sie. Diese Art, seinen Respekt zu beweisen, ist bei den Dschesidi überhaupt sehr gebräuchlich.
„Wo sind Pali und Melaf?“ fragte ich ihn.
„Sie haben Pir Kamek getroffen und sind mit ihm hinab nach Mossul zu. Ich habe Ali Bey eine Botschaft zu bringen. Sehe ich dich nachher wieder?“
„Ich stand soeben im Begriff, zu ihm zu gehen. Ist diese Botschaft vielleicht ein Geheimnis?“
„Möglich; aber du darfst sie hören. Komm, Emir!“
Wir gingen in die Frauenwohnung, wo der Bey sich befand. Es schien, daß der Zutritt dort jedermann erlaubt sei. Auch Halef befand sich dort. Der gute Hadschi war schon wieder beim Essen.
„Herr“,
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