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12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

Titel: 12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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gelingen werde; denn es wird euch kein Türke mehr im Weg sein, und die Dschesidi können euch leicht unterstützen.“
    Er sprach jetzt wieder in einem ganz andern Ton, und sein Auge hatte das frühere Leben wieder bekommen.
    „Unsere Anwesenheit würde euer Fest vielleicht nur stören“, sagte ich in der Absicht, vielleicht einiges über seine Sekte zu erfahren.
    Er schüttelte langsam den Kopf.
    „Glaubst du auch das Märchen oder vielmehr die Lügen, welche man von uns erzählt? Vergleiche uns mit andern, so wirst du Reinlichkeit und Reinheit finden. Die Reinheit ist es, nach der wir streben; die Reinheit des Leibes und die Reinheit des Geistes, die Reinheit der Rede und die Reinheit der Lehre. Rein ist das Wasser, und rein ist die Flamme. Darum lieben wir das Wasser und taufen mit demselben. Darum verehren wir das Licht als das Symbol des reinen Gottes, von dem auch euer Kitab sagt, daß er in einem Atesch, in einem Licht wohnt, zu welchem niemand kommen kann. Ihr heiligt euch mit Su ikbalün, dem geweihten Wasser, und wir heiligen uns mit Atesch ikbalün, dem geweihten Feuer. Wir tauchen die Hand in die Flamme und segnen mit derselben unsere Stirn, wie ihr es mit dem Wasser tut. Ihr sagt, Azerat Esau (Der Herr Jesus) sei auf der Erde gewesen und werde einst wiederkommen; wir wissen ebenso, daß er einst unter den Menschen wandelte, und glauben, daß er zurückkehren werde, um uns die Tore des Himmels zu öffnen. Ihr verehrt den Heiland, welcher auf der Erde lebte; wir verehren den Heiland, welcher einst wiederkommen wird. Wir wissen, wann er ein Mensch gewesen war, aber wir wissen nicht, wann er wiederkommen wird, und daher tun wir das, was er den Seinen befahl, als er sie in dem Baghtsche Gethseman (Garten Gethsemane) schlafend fand: ‚Gözetyn namaz kalyn ansizdan üzerine warilmemisch olursaniz – wachet und betet, auf daß ihr nicht überfallen werdet!‘ Darum bedienen wir uns des Hahnes, der ein Symbol der Wachsamkeit ist. Tut ihr dies nicht auch? Ich habe mir erzählen lassen, daß die Christen auf den Dächern ihrer Häuser und ihrer Tempel sehr oft einen Hahn anbringen, welcher aus Blech gemacht und mit Gold überzogen ist. Ihr nehmt einen blechernen Hahn und wir einen lebendigen. Sind wir deshalb Götzendiener oder böse Menschen? Eure Priester sind weiser, und eure Lehren sind besser; wir würden bessere Lehren haben, wenn wir weisere Priester hätten. Ich bin unter allen Dschesidi der einzige, welcher euer Kitab lesen und schreiben kann, und darum rede ich zu dir, wie kein anderer zu dir reden wird.“
    „Warum bittet ihr nicht um Priester, welche die eurigen unterweisen könnten?“
    „Weil wir nicht teilnehmen wollen an eurer Uneinigkeit. Die Lehre der Christen ist gespalten. Wenn ihr uns einmal sagen könnt, daß ihr einig seid, so werdet ihr uns willkommen sein. Wenn die Christen des Abendlandes uns Lehrer senden, von denen jeder anders lehrt, so tun sie sich selbst den größten Schaden. Azerat Esau sagt in eurem Kitab: ‚Im jol de gertscheklik de ömir de – ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.‘ Warum haben die Abendländischen so viele Wege, so viele Wahrheiten, da es doch nur Einen gibt, der das Leben ist? Darum streiten wir uns nicht über den Heiland, der bereits hier gewesen ist, sondern wir halten uns rein und harren des Erlösers, welcher kommen wird.“
    Da trat Ali Bey wieder ein, und das war mir – offen gestanden – sehr lieb. Meine Wißbegierde in Beziehung auf die Teufelsanbeter hätte mich beinahe diesem einfachen Kurden gegenüber in Verlegenheit gebracht. Ich mußte bei dem Vorwurf der Glaubensspaltung in meiner eigenen Heimat schweigen – leider, leider! Der Pir erhob sich und reichte mir die Hand.
    „Allah sei bei dir und auch bei mir! Ich gehe den Weg, den ich gehen muß, aber wir werden uns wiedersehen.“
    Er reichte auch den andern die Hand und ging. Ali Bey winkte ihm nach und sagte:
    „Das ist der Weiseste unter den Dschesidi; ihm kommt keiner gleich. Er war in Persistan und Indien; er war in Jerusalem und Stambul; er hat überall gesehen und gelernt und sogar ein Buch geschrieben.“
    „Ein Buch?“ fragte ich erstaunt.
    „Er ist der einzige, der richtig schreiben kann. Er wünscht, daß unser Volk einst so klug und gesittet werde, wie die Männer des Abendlandes, und dies können wir nur aus den Büchern der Franken lernen. Damit nun einmal diese Bücher in unserer Sprache niedergeschrieben werden können, hat er viele hundert Wörter

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