Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

Titel: 12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
el Onsul, Tochter des Konsuls, genannt wird.
    Dann holte mich Ali Bey ab, um mir mein Gemach zu zeigen. Es befand sich auf der Plattform des Daches, so daß ich mich der herrlichsten Aussicht erfreute. Als ich eintrat, bemerkte ich auf dem niedrigen Tisch ein starkes Heft.
    „Das Buch des Pir“, erklärte Ali auf meinen fragenden Blick.
    Im Nu hatte ich es ergriffen und mich auf den Diwan niedergelassen. Der Bey aber ging lächelnd hinaus, um mich beim Studium des kostbaren Fundes nicht zu stören. Das Heft war in arabisch-persischer Schrift geschrieben und enthielt eine ansehnliche Sammlung von Wörtern und Redensarten in mehreren kurdischen Dialekten. Ich bemerkte bald, daß es mir nicht sehr schwer fallen werde, mich im Kurdischen verständlich zu machen, sobald es mir nur erst gelungen sei, mir über die phonetische Bedeutung der Buchstaben klar zu werden. Hier war die Praxis von Bedeutung, und ich beschloß, den hiesigen Aufenthalt in dieser Beziehung so viel wie möglich auszunutzen.
    Mittlerweile brach die Dämmerung herein, und unten am Bach, wo die Mädchen Wasser schöpften, während einige Burschen ihnen dabei halfen, erklang folgender Gesang:
    „Ghawra min ave the
Bina michak, dartschin ber pischte
Dave min chala surat ta kate
Natschalnik ak bjerdza ma, bischanda ma Rusete.“
    (Frei übersetzt:
    „Ein christliches Mädchen kommt Wasser zu holen.
    Ich steh' ihr im Rücken und atme verstohlen.
    Das Mal ihrer Wange, mein Mund wird es küssen,
    Und sollt' ich in Fesseln nach Rußland dann müssen.“)
    Das war ein rhythmisch und melodisch hübscher Gesang, wie man ihn sonst im Orient nicht gleich zu hören bekommt. Ich lauschte, aber leider blieb es bei dieser einen Strophe, und ich erhob mich, um hinauszugehen, wo ein reges Leben herrschte, denn es kamen immerfort Fremde, und es wurde Zelt neben Zelt errichtet. Man merkte, daß ein bedeutendes Fest nahe bevorstand. Als ich vor die Tür trat, sah ich eine ansehnliche Versammlung um den kleinen Buluk Emini stehen, welcher laut erzählte.
    „Schon bei Sayda habe ich gekämpft“, rühmte er sich, „und dann auf der Insel Candia, wo wir die Empörer besiegten. Nachher focht ich in Beirut unter dem berühmten Mustapha Nuri Pascha, dessen tapfere Seele jetzt im Paradies lebt. Damals hatte ich auch meine Nase noch, und diese verlor in in Serbien, wohin ich mit Schekib Effendi gehen mußte, als Kiamil Pascha den Michael Obrenowitsch fortjagte.“
    Der gute Baschi-Bozuk schien gar nicht mehr genau zu wissen, bei welcher Gelegenheit er um seine Nase gekommen war. Er fuhr fort:
    „Ich wurde nämlich hinter Bukarest überfallen. Zwar wehrte ich mich tapfer; schon lagen über zwanzig Feinde tot am Boden; da holte einer mit dem Säbel aus; der Hieb sollte mir eigentlich den Kopf spalten, da ich aber denselben zurückzog, so traf er meine Na – – –“
    In diesem Augenblick erscholl in unmittelbarer Nähe ein Schrei, wie ich ihn in meinem Leben noch gar nicht gehört hatte. Es klang, als ob auf den hohen, schrillen Pfiff einer Dampfpfeife das Kollern eines Truthahnes folgte, und dann schloß sich jenes vielstimmige, ächzende Wimmern, welches man zu hören bekommt, wenn einer Orgel mitten im Spiel der Wind ausgeht. Die Anwesenden starrten erschrocken das Wesen an, welches diese rätselhaften, antediluvianischen Töne ausgestoßen hatte. Ifra aber meinte ruhig:
    „Was staunt ihr denn? Mein Esel war's! Er kann die Dunkelheit nicht leiden; darum schreit er die ganze Nacht hindurch, bis es wieder licht geworden ist.“
    Hm! Wenn es so stand, so war dieser Esel doch eine ganz liebenswürdige Kreatur! Diese Stimme mußte ja Tote lebendig machen! Wer sollte während der Nacht an Schlaf und Ruhe denken, wenn man die musikalischen Impromptus dieser vierbeinigen Jenny Lind anhören mußte, welche in der Lunge eine Diskantposaune, in der Gurgel einen Dudelsack und im Kehlkopf die Schnäbel und Klappen von hundert Klarinetten zu haben schien.
    Übrigens war es jetzt bereits zum dritten Mal, daß ich die Erzählung von der Nase des Buluk Emini zu hören bekam. Es schien ‚im Buch verzeichnet‘ zu sein, daß er diese Erzählung niemals zu Ende bringen dürfe.
    „So schreit also das Tier die ganze Nacht?“ fragte einer.
    „Die ganze Nacht“, bestätigte er mit der Ergebenheit eines Märtyrers. „Alle zwei Minuten einmal.“
    „Gewöhne es ihm ab!“
    „Womit?“
    „Ich weiß es nicht.“
    „So behalte auch deinen Rat für dich! Ich habe alles vergebens

Weitere Kostenlose Bücher