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12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem

Titel: 12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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kann nicht; denn ich setze mich nie wieder auf den Geist meines Großvaters!“
    „Das sollst du auch nicht; das wäre je auch gar nicht möglich, denn auf einen Geist kann sich niemand setzen.“
    „Auf wem soll ich denn reiten?“
    „Auf deinem Esel.“
    Er sah mich mit einem ganz verwirrten Blick an.
    „Aber mein Esel ist doch ein Geist; du hast es ja gesagt!“
    „Das war nur Scherz.“
    „O, du sagst dies nur, um mich zu beruhigen!“
    „Nein, sondern ich sage es, weil es mir leid tut, daß du dir meinen Scherz so zu Herzen nimmst.“
    „Effendi, du willst mich wirklich nur trösten! Warum ist der Esel so oft mit mir durchgegangen? Warum hat er mich so vielmal heruntergeworfen? Weil er gewußt hat, daß er kein Esel ist und daß ich der Sohn seines Sohnes bin. Und warum hat der Stein sofort geholfen, als ich tat, was dir die Seele des Esels anbefohlen hat?“
    „Sie hat mir nichts anbefohlen, und warum mein Mittel geholfen hat, das will ich dir sagen. Hast du niemals bemerkt, daß der Hahn die Augen schließt, wenn er kräht?“
    „Ich habe es gesehen.“
    „Halte ihm durch irgendeine Vorrichtung mit Gewalt die Augen offen, so wird er niemals krähen. Hast du beobachtet, daß dein Esel stets den Schwanz erhebt, wenn er schreien will?“
    „Ja, wirklich, das tut er, Effendi!“
    „So sorge dafür, daß er den Schwanz nicht in die Höhe bringen kann; dann wird er das Schreien lassen.“
    „Ist das wirklich so?“
    „Wirklich. Versuche es heute abend, wenn er wieder schreit!“
    „So ist der Vater meines Vaters wirklich nicht verzaubert?“
    „Nein, ich sage es dir ja!“
    „Hamdullillah! Allah sei tausend Dank!“
    Er sprang hinaus und riß dem Tier den Stein vom Schwanz herunter; dann kehrte er eilig zurück, um sich noch nachträglich an dem Mahl zu beteiligen. Daß er, der Untergebene, mit dem Bey zu Tisch sitzen durfte, zeigte mir von neuem, wie patriarchalisch Dschesidi untereinander leben.

ZWÖLFTES KAPITEL
    Das große Fest
    Eine Stunde später ritt ich mit meinem Dolmetscher in den lichten Morgen hinein spazieren. Mohammed Emin hatte es vorgezogen, daheim zu bleiben und sich überhaupt so wenig wie möglich zu zeigen.
    „Kennst du das Tal Idiz?“ fragte ich den Begleiter.
    „Ja.“
    „Wie lange reitet man von hier aus, um hinzukommen?“
    „Zwei Stunden.“
    „Ich möchte es sehen. Willst du mich hinführen?“
    „Wie du befiehlst, Herr. Wollen wir direkt oder über Scheik Adi?“
    „Welcher Weg ist der kürzere?“
    „Der direkte; aber er ist auch der beschwerlichere.“
    „Wir wählen ihn dennoch.“
    „Wird dein Pferd ihn aushalten? Es ist ein kostbares Tier, wie ich kaum jemals so eines gesehen habe; aber es wird wohl nur die Ebene gewohnt sein.“
    „Gerade heute will ich es prüfen.“
    Wir hatten Baadri hinter uns. Der Weg, unter dem man sich ja nicht einen gebahnten Steig zu denken hat, ging steil bergan und wieder steil bergab, aber mein Rappe hielt wacker aus. Die Höhen, welche erst mit Gebüsch bestanden waren, zeigten sich jetzt von dichtem, dunklem Wald besetzt, unter dessen Laub- und Nadelkronen wir dahinritten. Endlich wurde der Pfad so gefährlich, daß wir absteigen und die Pferde führen mußten. Es war erforderlich, jede Stelle genau zu untersuchen, ehe wir den Fuß auf dieselbe setzten. Das Pferd des Dolmetschers war diese Art Terrain gewohnt: es trat mit mehr Sicherheit auf und wußte die gefährlichen Stellen aus Erfahrung besser von den ungefährlichen zu unterscheiden; aber mein Rappe besaß einen glücklichen Instinkt und eine außerordentliche Vorsichtigkeit, und ich bekam die Überzeugung, daß er bereits nach kurzer Übung ein sehr guter Berggänger sein werde; wenigstens zeigte er bereits heute, daß er nicht ermüdete, während das andere Tier schwitzte und endlich auch mit dem Atem zu kämpfen begann.
    Die zwei Stunden waren beinahe abgelaufen, als wir an ein Dickicht gelangten, hinter welchem die Felsen fast senkrecht hinabfielen.
    „Das ist das Tal“, meinte der Führer.
    „Wie kommen wir hinab?“
    „Es gibt nur einen Weg, hinunterzukommen, und dieser führt von Scheik Adi hierher.“
    „Ist er betreten?“
    „Nein; er ist von dem übrigen Boden gar nicht zu unterscheiden. Komm!“
    Ich folgte ihm längs der dichten Büsche hin, welche den Rand des Tals ringsum so vollständig bedeckten, daß ein führerloser Fremder von dem Dasein des letzteren sicher nicht das mindeste geahnt hätte. Nach einiger Zeit gelangten wir an eine Stelle, an

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