12 - Wer die Wahrheit sucht
Heimlichkeit und die Unaufrichtigkeit, mit denen sie ihre privaten Nachforschungen betrieben hatte. Wenn sie schon ihre eigenen Wege gehen wollte, hätte sie ihn vorher davon unterrichten und verhindern müssen, dass er vor dem leitenden Ermittlungsbeamten wie ein Volltrottel dastand. Und im Übrigen änderten ihre kleinen Verdienste nichts daran, dass sie Cherokee River über wichtige Einzelinformationen informiert hatte. Man musste ihr klar machen, wie töricht solches Verhalten war.
Und basta, dachte St. James. Er hatte nur getan, was recht und billig war. Trotzdem wollte er ihr nicht folgen. Er sagte sich, er wolle ihr Zeit zur Beruhigung und zum Nachdenken lassen. Wenn es ihrer Erziehung diente, konnte er ein paar Tropfen Regen in Kauf nehmen.
Le Gallez bemerkte ihn, als er in den Hof des Polizeipräsidiums trat, und blieb neben der offenen Tür seines Escort stehen. Hinten im Wagen waren zwei Kindersitze, leer. »Zwillinge«, sagte Le Gallez, als St. James sie musterte. »Acht Monate.« Als fürchtete er, mit diesen Bemerkungen ungewollt den Eindruck einer Verbundenheit mit St. James zu erwecken, die er gar nicht empfand, sprach er gleich weiter. »Haben Sie ihn?«
»Ja, ich habe ihn.« St. James berichtete alles, was er von Deborah zu dem Ring wusste, und schloss mit den Worten: »China River erinnert sich nicht, wo sie ihn zuletzt hingetan hat. Sie sagt, wenn der Ring nicht der ist, den sie gekauft hat, müsste ihrer bei den Sachen sein, die bei Ihnen liegen.«
Le Gallez verlangte nicht gleich, den Ring zu sehen. Er schlug die Autotür zu, sagte: »Kommen Sie mit«, und ging wieder ins Präsidium hinein.
St. James folgte ihm nach oben in einen kleinen Raum, der offenbar als forensisches Labor diente. Schwarz-Weiß-Fotografien von Fußabdrücken hingen von lose gespannten Leinen vor einer Wand herab, und darunter stand das einfache Gerät zur Sicherung latenter Fingerabdrücke mit Hilfe von Zyanoacrylat. Daneben war eine mit der Aufschrift Dunkelkammer gekennzeichnete Tür, über der zum Zeichen, dass dahinter gearbeitet wurde, ein rotes Licht brannte. Le Gallez klopfte dreimal kräftig an diese Tür, blaffte: »Abdrücke, McQuinn« und sagte: »Her damit« zu St. James.
St. James gab ihm den Ring. Le Gallez füllte das erforderliche Formular aus und war gerade dabei, es mit schwungvollem Schnörkel zu unterzeichnen, als McQuinn aus der Dunkelkammer trat. Das Beweisstück aus der Bucht, in der Guy Brouard umgekommen war, wurde ohne weiteren Verzug einer Untersuchung mit allen Schikanen unterworfen.
Le Gallez überließ McQuinn seinen giftigen Dämpfen und führte St. James in die Asservatenkammer, wo er vom zuständigen Beamten die Liste mit China Rivers Besitztümern verlangte. Nachdem er sie durchgesehen hatte, meldete er, was St. James schon zu vermuten begonnen hatte: Es war kein Ring unter den Sachen, die die Polizei China River abgenommen hatte.
Eigentlich, fand St. James, hätte Le Gallez darüber höchst zufrieden sein müssen. Diese Erkenntnis war schließlich ein weiterer Nagel in China Rivers Sarg. Aber das Gesicht des Chief Inspector spiegelte statt Genugtuung eher Unmut. Er sah aus, als hätte er ein Stück zu einem Puzzle gefunden, das nicht passte.
Er sah St. James an und prüfte noch einmal die Liste. Der für die Asservatenkammer zuständige Beamte sagte: »Nichts da, Lou. Da war nichts, und da ist nichts. Ich hab alles noch mal genau durchgeschaut. Eindeutig nichts.«
Dem entnahm St. James, dass Le Gallez in der Liste nicht nur nach einem Ring suchte. Es gab offenbar noch etwas anderes, wovon der Chief Inspector ihm bei ihrem früheren Gespräch nichts gesagt hatte. Dieser musterte jetzt St. James, als überlegte er, wie viel er ihm verraten sollte. Beinahe lautlos sagte er: »Verdammt«, und dann: »Kommen Sie mit.«
Sie gingen in sein Büro, wo er die Tür zuschlug und auf einen Sessel deutete, bevor er sich in seinen Schreibtischsessel fallen ließ und zum Telefon griff. Er gab eine Nummer ein, und als er die gewünschte Verbindung hatte, sagte er: »Le Gallez hier. Habt ihr was?... Mist! Dann sucht weiter. Von oben bis unten. Ganz gleich, wie lang ihr braucht... Ja, verdammt noch mal, ich weiß, wie viele Leute da inzwischen rumpfuschen konnten, Rosumek. Ob Sie's glauben oder nicht, wenn man meinen Dienstgrad erreichen will, muss man nachweisen, dass man zählen kann. Also, machen Sie weiter.« Er legte auf.
»Sie führen eine Durchsuchung durch?«, fragte St. James. »Wo? In
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