12 - Wer die Wahrheit sucht
anzurufen, weil's ihm nach einem Herzinfarkt ausschaut. Ganz verständlich, Brouard ist schließlich fast siebzig.«
»Und bei dem ganzen Hin und Her könnte Duffy die Thermosflasche ausgespült haben.«
»Könnte, ja. Aber wenn er Brouard umgebracht hat, dann entweder mit Hilfe seiner Frau oder mit ihrem Wissen, und in dem Fall ist sie die beste Lügnerin, die mir auf der Insel je untergekommen ist. Sie sagt, er sei oben gewesen und sie selbst in der Küche, als Brouard zum Schwimmen ging. Er - Duffy - habe das Haus überhaupt nicht verlassen, sagt sie, bevor er zum Strand runterlief, um nach Brouard zu schauen. Ich glaube ihr.«
St. James blickte zum Telefon und dachte an Le Gallez' Anruf, der verraten hatte, dass eine Durchsuchung stattfand. »Hm, wenn Sie nicht nach einem Hinweis suchen, wie er an dem fraglichen Morgen betäubt wurde - wenn Sie schon sicher sind, dass das Mittel in der Thermosflasche war -, dann suchen sie wohl nach dem Behältnis, in dem das Opiat bis zu seiner Verwendung aufbewahrt wurde - in dem man es nach Le Reposoir gebracht hatte.«
»Wenn es in den Tee gemischt wurde«, sagte Le Gallez, »und etwas anderes halte ich kaum für möglich, dann lässt das auf eine Flüssigkeit schließen. Oder ein lösliches Pulver.«
»Was wiederum nahe legt, dass es in einem Fläschchen oder Röhrchen aufbewahrt wurde, irgendeinem Behältnis - auf dem sich hoffentlich Fingerabdrücke befinden.«
»Und das weiß Gott wo sein kann«, fügte Le Gallez hinzu.
St. James sah das Problem, vor dem der Chief Inspector stand: Nicht nur hatte er ein Riesengelände zu durchsuchen, er hatte plötzlich auch mehrere hundert Verdächtige - alle Gäste, die am Vorabend von Brouards Tod in Le Reposoir gefeiert hatten und von denen jeder mit Mordgedanken gekommen sein konnte. Denn auch wenn man China Rivers Haar an dem Toten gefunden hatte, wenn Zeugen einen morgendlichen Verfolger in China Rivers Cape gesehen haben wollten, wenn der verdächtige Totenkopfring, der in der Bucht gefunden worden war, von China Rivers selbst gekauft worden war, kündete das von Brouard eingenommene Betäubungsmittel laut und deutlich von einer Geschichte, die Le Gallez jetzt nicht mehr ignorieren konnte.
Er würde ganz schön zu beißen haben an dem Dilemma, in dem er sich befand: Bis zu diesem Augenblick hatten alle seine Erkenntnisse auf China River als Mörderin hingewiesen, die Entdeckung der Opiatspuren in Brouards Blut jedoch sprach von Vorsatz und Planung, und das stand in direktem Konflikt zu der Tatsache, dass sie Brouard erst nach ihrer Ankunft auf der Insel kennen gelernt hatte.
»Wenn die River es getan hat«, sagte St. James, »müsste sie das Mittel aus den Staaten mitgebracht haben. Sie hätte nicht hoffen können, es hier in Guernsey zu erhalten. Sie hatte die hiesigen Verhältnisse nicht gekannt: wie groß die Stadt ist, wo man hier Drogen kaufen kann. Und selbst wenn sie sich darauf verlassen hätte, hier etwas zu bekommen, und es ihr gelang, indem sie herumfragte, bis sie eine Quelle fand, bleibt immer noch die Frage, warum. Warum hat sie es getan?«
»Unter ihren Sachen ist nichts, was zur Beförderung des Zeugs gedient haben könnte«, sagte Le Gallez, als hätte St. James nicht gerade ein signifikantes Argument vorgetragen. »Keine Flasche, kein Glas, kein Röhrchen, nichts. Das lässt vermuten, dass sie das Behältnis weggeworfen hat. Wenn wir es finden - falls wir es finden -, werden sich Rückstände feststellen lassen. Oder Fingerabdrücke. Und wenn es nur einer ist. Kein Mensch denkt an alles, wenn er tötet. Er bildet es sich vielleicht ein. Aber einen anderen zu töten, fällt keinem leicht, außer vielleicht einem Psychopathen. Da flattern die Nerven, und man vergisst schon mal was. Nur eine Kleinigkeit. Irgendwo.«
»Aber es bleibt weiterhin die Frage nach dem Motiv«, beharrte St. James. »China River hat kein Motiv. Sie hat von seinem Tod keinen Nutzen.«
»Wenn ich den Behälter mit ihren Abdrücken darauf finde, ist das nicht mein Problem«, gab Le Gallez zurück.
Diese Bemerkung spiegelte Polizeiarbeit in ihrer schlimmsten Form: die verwerfliche Neigung, zuerst Schuld zuzuweisen und dann die Fakten so zu interpretieren, dass sie passten. Die Polizei von Guernsey hatte zwar eine Anzahl von Beweisstücken - einen Umhang, Haare an der Kleidung des Toten, Augenzeugenaussagen, denen zufolge jemand Guy Brouard zur Bucht hinuntergefolgt war, und nun auch noch einen Ring der Hauptverdächtigen, der am
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