12 - Wer die Wahrheit sucht
Geschichten von Cherokees abenteuerlichen Geschäften entnommen, die sie während ihres Zusammenlebens mit China in Santa Barbara mitbekommen hatte: Das reichte von der stundenweisen Vermietung seines Zimmers an jugendliche Liebespärchen, als er selbst noch ein Teenager war, bis zu einer florierenden Cannabis-Farm, als er Anfang zwanzig gewesen war. Cherokee River war, so wie Deborah ihn kannte, der geborene Opportunist gewesen. Fragte sich nur, was an Guy Brouards Tod für ihn opportun gewesen war.
»Weißt du, das Schlimmste ist, mir klar zu machen, was das in Bezug auf China bedeutet«, sagte Deborah. »Er hätte es einfach geschehen lassen, dass sie... ich meine, dass man ihr... ausgerechnet... Es ist entsetzlich, Simon. Ihr eigener Bruder. Wie konnte er nur...? Ich meine, immer vorausgesetzt, er hat es wirklich getan. Meiner Ansicht nach muss es eine andere Erklärung geben. Diese hier möchte ich einfach nicht glauben.«
»Wir können nach einer anderen suchen«, sagte Simon. »Wir können mit den Abbotts sprechen. Und mit allen anderen. Aber trotzdem...«
Sie blickte hoch und sah die Betroffenheit in seinem Gesicht. »Trotzdem musst du dich auf das Schlimmste gefasst machen«, sagte er.
»Das Schlimmste wäre, wenn man China den Prozess machte«, antwortete Deborah. »Das Schlimmste wäre es gewesen, wenn China ins Gefängnis gekommen wäre. Wenn sie für... für einen anderen hätte büßen müssen...« Sie verstummte, als sie erkannte, wie Recht ihr Mann hatte. Ohne Vorwarnung, ohne dass sie Zeit gehabt hätte, sich darauf einzustellen, fühlte sie sich zwischen zwei Alternativen gefangen, die »schlimm« und »schlimmer« hießen. Ihre erste Loyalität galt ihrer Freundin. Sie hätte sich also eigentlich darüber freuen müssen, dass das Schicksal einer langen Gefängnisstrafe, das China aufgrund einer ungerechtfertigten Verhaftung und lückenhafter Polizeiarbeit gedroht hatte, ihr nun endgültig erspart worden war. Doch wenn Chinas Rettung der Erkenntnis zu verdanken war, dass ihr eigener Bruder die Ereignisse inszeniert hatte, die zu ihrer Verhaftung geführt hatten... Wie sollte man unter diesen Umständen Chinas Rettung feiern? Und wie sollte China sich je von einem derartigen Verrat erholen? »Sie wird nicht glauben, dass er ihr das angetan hat«, sagte Deborah schließlich.
»Und du?«, fragte Simon leise.
»Ich?« Deborah blieb stehen. Sie hatten die Ecke der Berthelot Street erreicht, die steil zur High Street und dem Quai auf ihrer anderen Seite abfiel. Das Pflaster der schmalen Gasse war schmierig, und das Regenwasser, das zur Bucht hinunterrann, begann bereits Bäche zu bilden, die in den kommenden Stunden noch anzuschwellen versprachen. Für jemanden, der an einer Gehbehinderung litt, war das keine empfehlenswerte Route, doch Simon schlug sie entschlossen ein, während Deborah über seine Frage nachdachte.
Auf halbem Weg den Hang hinunter blinkten freundlich die Lichter des Admiral le Saumarez Inn durch die Düsternis und verhießen Obdach und Wärme. Aber sie wusste, dass die Verheißung trügerisch war, ihr Trost so wenig dauerhaft wie der Regen, der auf die Stadt fiel. Trotzdem steuerte ihr Mann zielstrebig das Lokal an. Sie gab ihm erst Antwort auf seine Frage, als sie sicher und trocken im Foyer standen.
»Darüber hatte ich gar nicht nachgedacht, Simon«, sagte sie. »Ich bin auch nicht ganz sicher, was du eigentlich meinst.«
»Genau das, was ich gesagt habe. Kannst du es glauben?«, fragte er. »Wirst du es glauben können? Wenn es hart auf hart geht, wirst du dann bereit sein, zu glauben, dass Cherokee River seine eigene Schwester verkaufen wollte? Denn das würde wahrscheinlich heißen, dass er nur nach London gekommen ist, um dich zu holen. Oder mich. Oder auch uns beide. Aber nicht, um bei der Botschaft Druck zu machen.«
»Und warum?«
»Er uns geholt hat, meinst du? Um seiner Schwester weiszumachen, er wolle ihr helfen. Um sicher zu sein, dass sie nicht über Dinge nachdachte, die sie hätten veranlassen können, Verdacht gegen ihn zu schöpfen, oder, schlimmer noch, die ihn ins Visier der Polizei gebracht hätten. Ich vermute, er wollte auch sein Gewissen damit beruhigen, dass er jemanden für China holte. Wenn er allerdings tatsächlich vorhatte, ihr einen Mord in die Schuhe zu schieben, kann ich mir nicht vorstellen, dass er überhaupt ein Gewissen besitzt.«
»Du magst ihn nicht«, sagte Deborah.
»Es geht nicht um mögen und nicht mögen. Es geht darum, sich die
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