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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Schande zum Tor hinausgejagt werden musste.
    Guy hatte Frank gefragt, was er nun, da ihm der Verrat seines Vaters bekannt war, tun wolle, und Frank hatte es nicht gewusst. So wie Graham Ouseley unfähig war, sich der Wahrheit über sein Verhalten während der Besatzung zu stellen, so fand Frank es unmöglich, sich seiner Verantwortung zu stellen und reinen Tisch zu machen. Stattdessen hatte er den Abend verflucht, an dem er Guy bei dem Vortrag in der Stadt begegnet war, und den Moment bedauert, als er bei ihm ein Interesse an der Kriegszeit erkannt hatte, das seinem eigenen glich. Hätte er das nicht bemerkt und spontan darauf reagiert, wäre alles anders gekommen. Diese Quittung, mit anderen zusammen von den Nazis aufbewahrt, um zur Erkennung ihrer Helfer zu dienen, wäre in dem Sammelsurium von Dokumenten untergegangen, das Teil einer zwar beeindruckenden, aber bisher völlig ungeordneten und daher unübersichtlichen Sammlung war.
    Mit Guy Brouards Eintritt in ihr Leben hatte sich das aber geändert. Guys enthusiastischer Vorschlag, für eine angemessene Unterbringung ihrer Sammlung zu sorgen, hatte - im Zusammenspiel mit seiner Liebe zu der Insel, die ihm ein Zuhause geworden war - zu einer eingehenden Beschäftigung mit der Sammlung und, für Frank, zu einer schockierenden Erkenntnis geführt, die Offenlegung und Handeln verlangte. Bisher hatte Frank vergeblich versucht, einen Weg aus dieser Falle zu finden.
    Die Zeit war knapp. Nach Guys Tod hatte Frank geglaubt, nun hätten sie Ruhe. Aber dieser Tag hatte ihm gezeigt, dass das eine Illusion war. Graham war wild entschlossen, den Weg ins Verderben zu gehen. Er hatte es mehr als fünfzig Jahre lang geschafft, sich zu verstecken, aber nun war ihm die Zuflucht genommen, und es gab keine Rettung mehr vor dem, was ihm bevorstand.
    Frank hatte das Gefühl, seine Füße wären mit Eisenketten beschwert, als er zur Kommode in seinem Schlafzimmer trat. Er nahm die Liste an sich, die er dort an das Foto gelehnt hatte, und trug sie wie eine Opfergabe vor sich her, als er die Treppe hinunterging.
    Im Wohnzimmer lief der Fernsehapparat. Auf dem Bildschirm standen zwei Ärzte in grünen Kitteln in einem Operationssaal über einen Patienten gebeugt. Frank schaltete das Gerät aus und trat zu seinem Vater. Er schlief immer noch, den Mund geöffnet, mit hängender Unterlippe, hinter der sich Speichel angesammelt hatte.
    Frank beugte sich zu ihm hinunter und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Dad, wach auf«, sagte er. »Wir müssen miteinander reden.« Er schüttelte ihn sanft.
    Die Augen hinter den dicken Brillengläsern öffneten sich. Graham zwinkerte verwirrt und sagte: »Ich muss eingeschlafen sein, Frankie. Wie spät ist es?«
    »Spät«, antwortete Frank. »Zeit, richtig schlafen zu gehen.«
    »Oh«, sagte Graham, »gut, mein Junge«, und er machte Anstalten, aufzustehen.
    »Noch nicht«, sagte Frank. »Schau dir erst mal das hier an, Dad.« Er hielt seinem Vater die Quittung über die Nahrungsmittellieferung vor die schwachen Augen.
    Graham zog die Brauen zusammen, als sein Blick über den Zettel flog. »Und was soll das sein?«, fragte er.
    »Das musst schon du mir sagen. Es steht ja dein Name darauf. Siehst du? Hier. Und ein Datum steht auch darauf. August neunzehnhundertdreiundvierzig. Es ist in Deutsch geschrieben. Was sagst du dazu, Dad?«
    Sein Vater schüttelte den Kopf. »Nichts. Ich hab keine Ahnung, was das ist.« Die Worte klangen wahr, wie sie es für ihn zweifellos auch waren.
    »Weißt du, was das heißt? Das Deutsche, meine ich. Kannst du das übersetzen?«
    »Ich spreche kein Deutsch. Hab's nie gesprochen und werd's nie sprechen.« Graham rutschte in seinem Sessel nach vor und stemmte die Hände auf die Armlehnen.
    »Noch nicht, Dad«, sagte Frank, um ihn aufzuhalten. »Ich will dir erst noch vorlesen, was hier steht.«
    »Du hast gesagt, es ist Zeit zum Schlafengehen.« Grahams Ton war argwöhnisch.
    »Vorher kommt noch das hier. Also, pass auf, da steht: Sechs Würstchen. Ein Dutzend Eier. Zwei Kilo Mehl. Sechs Kilo Kartoffeln. Ein Kilo Bohnen. Und Tabak, Dad, echter Tabak, zweihundert Gramm. Das haben die Deutschen dir gegeben.«
    »Die Deutschen?«, sagte Graham. »Blödsinn. Wo hast du das - zeig mal her.« Er griff mit schwacher Hand nach dem Zettel.
    Frank zog ihn weg und sagte: »Ich sag dir, wie es war, Dad. Ich vermute, du hattest die Nase voll von dem ständigen Herumkrebsen, nur um irgendwie durchzukommen. Magere Zuteilungen. Dann

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