12 - Wer die Wahrheit sucht
hat dich also geschickt, uns zu holen«, sagte Deborah zu Cherokee. »Sie wusste, wie es werden würde, wenn wir kämen.«
»Dass ich...«
»Das wollte sie.«
»Mir einen Mord in die Schuhe schieben.« Cherokee sprang auf und ging zum Fenster, dessen Jalousie heruntergelassen war. Er riss an der Schnur. »Weil ich enden sollte... Wie? Wie ihr Vater, oder was? War das alles ein riesiger Rachetrip, weil ihr Vater im Knast ist und meiner nicht? Als könnte ich was dafür, dass ihr Vater ein Verlierer ist! So ein Quatsch. Außerdem war mein Vater auch nicht viel besser. Das war so ein Gutmensch, der dauernd damit beschäftigt war, die Wüstenschildkröte zu retten oder den gelben Salamander oder weiß der Teufel was. Mein Gott! Was spielt das denn für eine Rolle? Was hat es je für eine Rolle gespielt? Ich versteh's einfach nicht.«
»Musst du es denn verstehen?«
»Ja, verdammt noch mal. Sie war meine Schwester!«
Deborah stand vom Bett auf und ging zu ihm. Behutsam nahm sie ihm die Jalousienschnur aus der Hand, zog die Jalousie hoch und ließ das Tageslicht ins Zimmer. Die ferne Dezembersonne schien auf ihre Gesichter.
»Du hast ihre Unschuld an Matthew Whitecomb verkauft«, sagte Deborah. »Als sie das erfuhr, wollte sie dich dafür bezahlen lassen, Cherokee.«
Er antwortete nicht.
»Sie glaubte, Matt liebe sie. Er kam immer wieder zu ihr zurück, ganz gleich, was zwischen ihnen geschah, und sie glaubte, das bedeute das, was es nicht bedeutete. Sie wusste, dass er sie mit anderen Frauen betrog, aber sie glaubte fest, dass er dem allen irgendwann entwachsen und nur noch mit ihr leben wollen würde.«
Cherokee beugte sich vor und drückte die Stirn an die kühle Fensterscheibe. »Er hat sie betrogen, das stimmt«, murmelte er. »Aber er hat nicht wirklich sie betrogen. Er hat eine andere mit ihr betrogen. Was, zum Teufel, hat sie sich denn gedacht? Ein Wochenende im Monat. Zwei, wenn sie großes Glück hatte. Eine Reise nach Mexiko vor fünf Jahren, und eine Kreuzfahrt, als sie einundzwanzig war. Das Arschloch ist verheiratet, Debs. Seit anderthalb Jahren schon, und er hat's ihr nicht gesagt, dieses Schwein. Und sie hat gewartet und gewartet. Ich konnte ihr das doch nicht... Ich wollte nicht derjenige sein. Ich konnte ihr das nicht antun. Ich wollte nicht ihr Gesicht dabei sehen. Darum hab ich ihr erzählt, wie alles überhaupt zustande gekommen ist. Ich hoffte, das würde reichen, um sie so sauer zu machen, dass sie ihn in den Wind schießt.«
»Du meinst...?« Deborah brachte es kaum über sich, den Gedanken zu Ende zu denken, so grauenvoll war er in seinen Konsequenzen. »Du hast sie gar nicht verkauft? Sie glaubte es nur? Für fünfzig Dollar und ein Surfbrett? An Matt? So war es gar nicht?«
Er wandte sich ab und schaute zum Parkplatz vor dem Krankenhaus hinunter, wo ein Taxi vorfuhr. Sie sahen Simon aussteigen. Er sprach kurz mit dem Fahrer, und das Taxi blieb stehen, während er zum Eingang ging.
»Du bist frei«, sagte Cherokee.
Sie gab nicht nach. »Hast du sie nicht an Matt verkauft?«
Er sagte: »Hast du deine Sachen beisammen? Wir können ihm ins Foyer entgegengehen.«
»Cherokee!«, sagte sie.
Er antwortete: »Ach, zum Henker, ich wollte surfen. Ich brauchte ein Brett. Ein geliehenes hat mir nicht gereicht. Ich wollte mein eigenes.«
»O Gott«, sagte Deborah leise.
»Es gab überhaupt keinen Grund, so ein Drama daraus zu machen«, sagte Cherokee. »Matt hat's jedenfalls nicht so gesehen. Und für ein anderes Mädchen wär's auch keine große Sache gewesen. Woher hätte ich wissen sollen, was China daraus machen würde? Was ihrer Meinung nach daraus entstehen musste, wenn sie sich irgendeinem Loser ›hingab‹? Herrgott, Debs, es war nichts als eine Nummer.«
»Und du warst nichts als ein Zuhälter.«
»So war es nicht. Ich hab genau gemerkt, dass sie ihn mochte. Ich hab mir nichts Böses dabei gedacht. Sie hätte nie von der Geschichte erfahren, wenn sie sich diesem blöden Hund nicht so an den Hals geworfen und ihr Leben für ihn weggeschmissen hätte. Da musste ich es ihr sagen. Sie hat mir gar keine Wahl gelassen. Es war nur zu ihrem Besten.«
»Genau wie vorher das Geschäft mit Matt?«, fragte Deborah. »Ging's da nicht vielleicht um dich, Cherokee? Um das, was du wolltest, und wie du es dir auf Kosten deiner Schwester beschaffen konntest? War es nicht so?«
»Okay. Ja. So war's. Aber ich konnte doch nicht wissen, dass sie an dem Kerl hängen bleiben würde. Ich dachte, sie
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