120, rue de la Gare
Routine, nicht wahr? Aber falls er sie findet, wird er nichts Interessantes von ihnen erfahren können. Zigarette? ... Ach ja, Sie rauchen lieber Pfeife.“
„Trotzdem vielen Dank. Hm... Reden macht durstig... Wenn ich mich recht erinnere, hatten Sie früher immer einen guten Weinkeller...“
„Verdammter Nestor!“ rief Montbrison. „Das ist wohl die Frage, die Sie am brennendsten interessiert, was? Sie alter Fuchs! Meinen Sie, ich hätte nur darauf gewartet, um die Gläser hinzustellen? Nein, ich hab nichts mehr. Leider habe ich für meine alkoholischen Bedürfnisse nicht so große Vorsorge getroffen wie für meinen Zigarettenkonsum. Aber daran soll’s nicht scheitern. Ich lad Sie zu einem Gläschen in ein Café ein.“
„Ich hab nur wenig Zeit“, sagte ich und stand auf. „Bin mit einem Journalisten verabredet.“
„Wo, wenn ich fragen darf?“
„In einer gemütlichen Kneipe in der Passage de... Ah, ich hab den Namen vergessen. Ganz in der Nähe eures Kaspers.“
„Wäre es aufdringlich, mich Ihnen anzuschließen?“
„Aber nein, keineswegs. Nur müssen Sie vergessen, daß ich Nestor Burma heiße.“
Er hob die Augenbrauen.
„Aha! Sehr aufregend... Ich komme mit. Reden wir von alten Zeiten!“
Bevor wir gingen, gab Maître Montbrison seinem Butler einige Anweisungen. Dieser gab ihm dafür ein Kuvert, das ein Polizist abgegeben hatte. Der Anwalt steckte es ein und folgte mir.
Marc Covet wartete in der Bar du Passage, wo er in Ruhe die Vorzüge eines synthetischen Aperitifs genoß.
„Haben Sie die Informationen?“ überfiel ich ihn ohne weitere Einleitung.
„Ist die Polizei hinter Ihnen her?“ fragte der Journalist zurück. „Guten Tag, Monsieur. Setzen Sie sich zu mir, und trinken Sie, was an Alkohol so da ist. Nein, ich hab Ihre Informationen nicht. Unser Literaturkritiker ist im Moment nicht da. Hat ‘ne Freundin auf der anderen Seite der Demarkationslinie. Und mit seinem ständigen Dauerpassierschein... Aber morgen ist er wieder zurück. Andere wollte ich nicht fragen. Wenn schon jemand über meine abseitigen Neigungen Bescheid weiß, dann lieber immer derselbe... Kommt’s denn auf einen Tag an?“
„Nein, auf einen nicht.“
Jetzt erst machte ich den Journalisten und den Anwalt miteinander bekannt. Dann tranken wir drei Aperitifs (jeder eine Runde!). Mineralwasser wirkte dagegen wie Sprengstoff.
„Gehen wir zusammen essen“, schlug ich vor. „Sie steuern die Lebensmittelkarten bei und ich das Geld.“
„Angenommen“, sagte Marc. „Ich kenne ein gemütliches Lokal.“
Er führte uns in ein Restaurant, in dem es von Pariser und hiesigen Journalisten nur so wimmelte. Man erkannte sie an ihren hellen Anzügen und an den Füllfederhaltern in ihren Brusttaschen. Außerdem nannten sie ehemalige Abgeordnete und Künstler beim Vornamen, so als redeten sie von Kellnern. Der Anwalt wurde von einigen gegrüßt, aber niemand erkannte in mir den Chef der Agentur Fiat Lux. Über das Verbrechen von Perrache fiel kein Wort. Marc stellte mich seinen Freunden als Pierre Kiroul vor. An diesem absurden Pseudonym schien er großen Gefallen zu finden, alles mit der Aussicht auf einen Sensationsartikel über die Auflösung des Mordfalls.
Das Steak war zäh. Kam bestimmt direkt vom Schwarzmarkt. Plötzlich hielt ich im mühsamen Kauen inne. Ich hatte eine Idee.
„Marc, Ihr Literaturkritiker hat einen ständigen Passierschein, haben Sie gesagt? Und Sie...?“
„Ja auf die erste Frage, nein auf die zweite. Schade“, fügte er ironisch grinsend hinzu, „sonst hätten Sie mich sicher um einen kleinen Gefallen gebeten, stimmt’s?“
„Stimmt. Ich muß eine dringende Nachricht nach Paris schicken. Die Interzonenkarten brauchen ‘ne Ewigkeit. Sie hätten einen Brief für mich vom erstbesten Kaff auf der anderen Seite abschicken können. Und Sie, Montbrison? Gibt’s keinen möglichen Boten unter Ihren Bekannten?“
„Nein. Aber ich muß in ein paar Tagen nach Paris fahren. Der Passierschein ist schon beantragt...“ Er zog den Umschlag aus der Tasche, den der Polizist ihm gebracht hatte. „Das ist die Benachrichtigung vom Kommissariat. Aber leider zu spät, um Ihnen den Gefallen zu tun.“
Marc ließ seine Gabel auf den Teller fallen.
„Ich hab was Besseres“, rief er. „Sehen Sie den da, braunes Jackett, Hut auf dem Kopf? Der fährt heute nacht nach Paris. Morgen früh um sieben ist er da... He, Arthur, komm mal her, ich möchte dir ‘n alten Freund vorstellen.“
Covets
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