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120, rue de la Gare

120, rue de la Gare

Titel: 120, rue de la Gare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Kollege kam an unseren Tisch. Monsieur Kiroul — Maître Montbrison — Monsieur Berger... angenehm. Zehn Minuten später wußte Arthur Berger, was ich von ihm wollte. Er erklärte sich bereit, mir den kleinen Gefallen zu tun.
    Mein Informant bei der Kripo in Paris war Inspektor Flo-rimond Faroux. Ich hatte ihm mal aus der Patsche geholfen, weshalb er mir sehr dankbar war. Auf einem Blatt Durchschlagpapier notierte ich für ihn seltsame Betrachtungen über Regen und schönes Wetter. Übersetzt hieß das: Ich bat ihn, das Haus Nr. 120 in der Rue de la Gare überwachen und mir einen Bericht über die Bewohner zukommen zu lassen. Als Kontaktperson gab ich Marc Covet in der Redaktion des Crépuscule an.
    „Nicht sehr kompromittierend“, lachte Arthur, als er den Text gelesen hatte.
    „Nein. Außerdem geht das an einen Flic. Also völlig gefahrlos.“
    „Hoffentlich.“
    „Schicken Sie’s per Rohrpost“, empfahl ich.
    „O.k. Wenn der Zug nicht entgleist, hat Ihr Mann den Brief morgen früh. Was fällt für mich dabei ab?“
    Er hatte sein Glas geleert und genehmigte sich auch noch den Rest von Marcs Wein. Ich bestellte eine Flasche Burgunder. Es war ein einfacher Aramon, aber man konnte das Zeug trinken. Wir ließen noch eine Flasche kommen, dann noch eine... Und dann waren wir alle sehr lustig. Zwischendurch dachte ich sorgenvoll an meinen Brief. In den Händen dieses Burschen war er schlecht aufgehoben. Arthur würde seinen Zug verpassen, das war klar... Und wenn er ihn nicht verpaßte, würde er meinen Brief in seiner Tasche völlig vergessen. Dieser Covet mit seinen Tips und seinen Freunden!
    So saß ich also da, grübelnd, ausgelassen wie der Papst. Arthur Berger erzählte uns gerade mit schwerer Zunge von seinen journalistischen Großtaten. Dabei sah er Maître Montbrison sehr merkwürdig an. Ließ ihn sozusagen nicht aus den Augen. Wenn er trank, schielte er über den Glasrand zu dem Anwalt hin und senkte angriffslustig den Kopf, so als betrachte er ihn durch eine ganz besondere Brille.
    Mitten in der angeregten Unterhaltung unterbrach er plötzlich seine Angebereien und behauptete, ein ganz außergewöhnlicher Kerl zu sein.
    „Jawohl“, sagte er und sah den Anwalt an, „ganz außergewöhnlich. Werd’s Ihnen beweisen. Was macht Ihre Verwundung?“
    „Meine... meine Verwundung?“ fragte Montbrison verblüfft.
    Der Maître war genauso besoffen wie Covets Kollege. Sein vornehmes Lächeln war zwar noch dasselbe, aber seine Augen blickten rollend ins Leere.
    Monsieur Berger schneuzte sich geräuschvoll und zeigte drohend auf seinen Gesprächspartner. Dann folgte ein längerer Monolog.
    Berger war Montbrison im Juni 1941 in Combettes begegnet, einem kleinen Nest, in dem es hoch hergegangen war. Der Journalist hatte dort den Posten eines Kriegsberichterstatters bekleidet, und zwar für... Hier folgte der Name der Wochenzeitung und ein kleiner Exkurs, aus dem hervorging, daß der Chefredakteur seine Untergebenen nicht grade auf Rosen bettete. Montbrison sei verwundet worden, nicht wahr? Der Anwalt bestätigte das. An der Hand, stimmt’s? Es stimmte. Darauf sang Berger sein eigenes Loblied. Wirklich, ein Tausendsassa. Maître Montbrison beglückwünschte ihn zu seinem phänomenalen Gedächtnis. Der Journalist ließ sich nicht lumpen und machte ihm Komplimente wegen seiner Entschlußkraft. Ha! Endlich einer, der sich kurzerhand Zivilklamotten angezogen hatte, um nicht in Gefangenschaft zu geraten! Er selbst sei ja ganz schön pfiffig, habe es aber erst später geschafft... und so weiter. Eine richtige Festrede.
    Ich schlug vor, das Wiedersehen zu begießen. Das Ereignis hatte mich etwas beruhigt. Ein Typ mit einem so fabelhaften Gedächtnis konnte es sich nicht erlauben, meinen Brief zu vergessen. Da wir schon mal bei Gefangenschaft und Beinahe-Gefangenen waren, steuerte ich auch ein paar Anekdoten bei.
    Um halb elf verabschiedete sich Berger. Er war betrunken, konnte aber noch geradeaus gehen.
    „Vergessen Sie den Brief nicht“, erinnerte ich ihn.
    „Der Mann kriegt Ihren Liebesbrief“, scherzte Berger.
    Eine halbe Stunde später mußte der Wirt auch so gute Gäste wie uns hinauswerfen.
    „Sperrstunde“, sagte er bedauernd.
    Draußen wäre es beinahe zum Streit gekommen.
    Überfließend vor Mitleid mit entlassenen Kriegsgefangenen, wollten der Journalist und der Anwalt mir unbedingt ihre Gastfreundschaft anbieten. Ich lehnte ab. Darin blieb ich standhafter als auf meinen Beinen. Ich wollte zurück ins

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