120, rue de la Gare
genausoviel sagen wie Sie“, bemerkte ich. Kommissar Bernier nickte verstehend.
„Sagen Sie... Warum sind Sie aus dem Zug gesprungen?“ fragte er leise.
Ich lachte.
„Das ist die erste blöde Frage, die Sie mir stellen!“
„Beantworten Sie sie trotzdem“, beharrte er, ohne böse zu werden.
„Daß mein Mitarbeiter vor meinen Augen umgebracht wurde, hat mir natürlich einen Schock versetzt. Ganz schön stark für einen Willkommensgruß... Ich wollte wissen, was los war.“
„Und?“
„Und da hab ich mich auf die Schnauze gelegt.“
„Haben Sie was Außergewöhnliches bemerkt?“
„Nein.“
„Haben Sie das Mündungsfeuer der Schüsse nicht gesehen?“
„Ich hab weder was gesehen noch gehört. Das ist alles so schnell gegangen... Ich könnte Ihnen nicht mal die genaue Stelle zeigen, an der’s passiert ist. Der Zug fuhr schon... Eine weitere Schwierigkeit, um den Schußwinkel festzustellen“, fügte ich mit Unschuldsmiene hinzu.
„Oh, das ist uns schon klar“, sagte der Kommissar sachlich. „Der Schütze muß neben dem Zeitungskiosk gestanden haben, in der Nähe des Lampenputzraums. Ein Wunder, daß nicht noch andere Personen verletzt wurden. Ein ziemlich guter Schütze, wenn Sie meine Meinung hören wollen.“
„Dann halten Sie es also für ausgeschlossen, daß Colomers Mörder auf mich gezielt hat?“
„Auf Sie? Verdammt, daran hab ich noch gar nicht gedacht!“
„Denken Sie auch weiterhin nicht daran“, beruhigte ich ihn. „Ich versuche nur, mein Hirn in Gang zu bringen. Man darf nichts außer acht lassen, und es gibt so einige, die wütend auf mich sind. Allerdings sind die nicht schlau genug, um den Tag meiner Entlassung rauszukriegen.“
„Möglich. Trotzdem... Ihr Gedanke eröffnet ganz neue Perspektiven... Robert Colomer war also weniger Ihr Angestellter als Ihr Mitarbeiter?“
„Ja. Wir haben unsere Untersuchungen immer gemeinsam geführt. Wir zwei waren ein Paar, wie es so schön heißt.“
„Und wenn ein Krimineller, den Sie früher mal in den Bau gebracht haben, sich nun rächen wollte...?“
„Das wäre immerhin möglich“, log ich mit nachdenklichem Gesicht.
Der Kommissar sah zum Arzt hin, der so langsam ungeduldig wurde.
„Ich habe Sie lange genug ausgequetscht, Monsieur Burma. Soll nicht wieder Vorkommen. Was ich von Ihnen brauche, ist eine Liste der Gewaltverbrecher, die auch vor einem Mord nicht zurückschrecken und zu deren Festnahme Sie in den letzten Jahren beigetragen haben.“
Auf diesen geschwollenen Satz antwortete ich, daß mein Gesundheitszustand nach den jüngsten Ereignissen in Perrache mir im Augenblick nicht erlaube, eine derartige Nachforschung anzustellen. Wenn er mir jedoch ein paar Stunden Ruhe gönne...
„Aber natürlich!“ rief er jovial. „So lange Sie wollen. Ich will nichts Unmögliches von Ihnen verlangen. Schon jetzt möchte ich mich für die Mühe bedanken, die Sie sich gemacht haben.“
„Ich fürchte, ich konnte Ihnen nicht besonders nützlich sein“, sagte ich lächelnd. „Die letzten sieben Monate habe ich zwischen Bremen und Hamburg verbracht. Auch bei meinem unbestreitbaren Spürsinn kann ich unmöglich wissen, was mein Mitarbeiter mehrere hundert Kilometer entfernt getrieben hat.“
Der Kommissar wünschte mir baldige Genesung, drückte mir die Hand, dann die des Arztes. Der gutgelaunte Doktor hatte viel von seiner guten Laune verloren und brummte einen undeutlichen Gruß. Mit seinem stummen Begleiter verließ Kommissar Bernier den Operationssaal.
Ich war erleichtert, als ich aus der Festbeleuchtung zu meinem Krankenbett geschoben wurde. Die häßliche Schwester deckte mich zu. Ich schluckte eine Schmerztablette und schlief ein.
Colomers seltsame Lektüre
Am nächsten Morgen fand der Arzt meinen Zustand so zufriedenstellend, daß ich in ein Nebengebäude auf der anderen Straßenseite verlegt wurde. Hier warteten in größter Disziplinlosigkeit ehemalige Kriegsgefangene mehr oder weniger lädiert auf ihre Entlassung an den heimischen Herd. Ich wurde von einer Art Gorilla massiert, dann in ein kaltes Bett gelegt und von einer Krankenschwester versorgt, die etwa genausoviel Sexappeal besaß wie ihre Kollegin von gegenüber.
Ich schrieb vier Briefe und eine Interzonen-Karte. Mein guter Geist, die Liebenswürdigkeit selbst, warf die Post sofort ein. Der Zug, aus dem ich auf so dramatische Weise ausgestiegen war, lud jetzt sicher die Heimkehrer in Montpellier, Sète, Béziers und Castelnaudary ab. Meine Briefe
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